Die Torheiten und Trugschlüsse der Chicago-Ökonomik

Jeder Dollar der gestiegenen Staatsausgaben muss einem Dollar weniger für private Ausgaben entsprechen. Die durch die Konjunkturausgaben geschaffenen Arbeitsplätze werden durch verloren gegangene Arbeitsplätze aufgrund des Rückgangs der privaten Ausgaben kompensiert.

Wir können Straßen anstelle von Fabriken bauen, aber fiskalische Impulse können uns nicht helfen, mehr von beidem zu bauen. Diese Form der „Verdrängung“ ist einfach nur Buchhaltung, und beruht nicht auf irgendwelchen Wahrnehmungen oder Verhaltensannahmen.

John Cochrane

Und was ist das winzige Problem dabei? Es ist schlicht durch und durch falsch!

Was Cochrane hier wiederholt, ist nichts anderes als das sogenannte Say’s Law, welches grundsätzlich aussagt, dass die Ersparnisse gleich den Investitionen sind und dass, wenn der Staat Investitionen erhöht, die privaten Investitionen automatisch zurückgehen („Crowding Out„).

Als Buchhaltungsidentität gibt es natürlich nichts zu sagen über das Gesetz, aber als solches ist es auch völlig uninteressant aus ökonomischer Sicht. Wie einige meiner schwedischen Vorgänger – Gunnar Myrdal und Erik Lindahl – bereits vor mehr als 80 Jahren betonten, handelt es sich eigentlich tatsächlich nur um Ex-ante– und Ex-post-Anpassungen.

Und wie ein berühmter englischer Ökonom etwa zur gleichen Zeit betonte, erhalten wir grundsätzlich Output-Anpassungen, wenn Ex-ante-Einsparungen und Investitionen sich unterscheiden. Veränderungen des BIPs sorgen nur dafür, dass Einsparungen und Investitionen im Nachhinein gleich bleiben. Und das sagt zudem gar nichts über den Erfolg oder Misserfolg der Fiskalpolitik aus!

Staatsverschuldung soll vermeintlich private Investitionen „verdrängen“

Die aktuelle Realität stellt allerdings das genaue Gegenteil dar, durch die Verwendung der geliehenen Fremdmittel (im Gegensatz zu den Ausgaben durch Steuereinnahmen) werden nämlich zusätzlich verfügbare Einkommen erzeugt, die die Nachfrage nach den Produkten der Privatwirtschaft erhöhen und private Investitionen erheblich rentabler machen.

Solange viele freie Ressourcen ungenutzt bleiben und sich die Zentralbanken vernünftig verhalten (anstatt zu versuchen, den angeblichen inflationären Effekten der Defizite entgegenzuwirken), sollten diejenigen mit einer Perspektive für eine gewinnbringende Investition aktiviert werden und eine entsprechende Finanzierung erhalten.

Unter diesen Umständen wird jeder zusätzliche Dollar Defizit mittel- und langfristig zwei oder mehr zusätzliche Dollar an privaten Investitionen induzieren. Das so geschaffene Kapital erhöht somit den Wohlstand irgendeiner Person und unweigerlich auch dessen Ersparnisse. „Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst“ stimmt dann nicht mehr, wenn ein Teil des durch das Angebot generierten Einkommens gespart wird, Investitionen dagegen erzeugen eigene Ersparnisse und mehr.

Alle Verdrängungseffekte, die auftreten können, sind nicht das Ergebnis der zugrunde liegenden wirtschaftlichen Realität, sondern die Folge ungeeigneter restriktiver Reaktionen seitens einer monetären Institution auf das Defizit.

Aus Fatale Irrtümer des finanziellen Fundamentalismus – Staatsverschuldung und die angebliche Verdrängung privater Investitionen

In einem Vortrag über die US-Rezession gab Robert Lucas einen Überblick darüber, was die neue klassische Schule der Makroökonomie heute über die jüngsten Konjunkturabschwünge in der US-Wirtschaft und ihre Zukunftsaussichten denkt.

Lucas geht davon aus, dass das reale BIP der USA seit 1870 mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 3 Prozent gewachsen ist, mit einem sehr großen Einbruch während der Depression der 1930er Jahre und einem ähnlich großen, aber insgesamt doch kleineren Dip in der jüngsten Rezession.

Nach der Feststellung, dass die 2008 begonnene US-Rezession im Wesentlichen auf einen „Run“ auf Liquidität zurückzuführen sei, geht Lucas darauf ein, die Aussichten auf eine Erholung der heutigen US-Wirtschaft zu diskutieren.

Demnach würde seiner Ansicht nach die bisherige Erfahrung eine „automatische“ Erholung suggerieren, indem man das System des freien Marktes sich selbst überlässt, damit es sich selbst ungehindert von sozialen Wohlfahrtsaktivitäten der Regierung wieder in ein Gleichgewicht bringen kann.

Wie zu erwarten war, gibt es dabei keinen Platz für irgendwelche keynesianischen Überlegungen zu eventuellen Engpässen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die die Erholung der Wirtschaft verhindern könnten. Nein, wie es in den Erklärungen und Rezepten der neuen klassischen makroökonomischen Schule eben üblich ist, wird die gesamte Schuld auf die Regierung und ihre fehlende Angebotspolitik geschoben.

Lucas ist davon überzeugt, dass höhere Steuern für die Reichen, die größere Regierungsbeteiligung im medizinischen Sektor sowie die strengeren Vorschriften für den Finanzsektor die wirtschaftliche Erholung bisher aufhalten. Doch wenn alles so bleibt, damit der Aufschwung ungehindert durch Wohlfahrtsstaatsaktivitäten europäischer Art seinen Kurs beibehalten kann, werde der freie Markt schon alles regeln.

In nicht gerade edelmütiger Weise – ohne einen Hauch von Argumentation oder gar Beachtung empirischer Tatsachen – verwirft Lucas schlicht die Möglichkeit eines Nachfragerückgangs. Von jemandem, der schon vor 30 Jahren den Keynesianismus verurteilt hat („die Leute nehmen die keynesianische Theorie nicht mehr ernst; das Publikum beginnt untereinander zu flüstern und zu kichern“) kann man eigentlich auch nichts anderes erwarten.

Die Berücksichtigung der Nachfrage wird einfach aus theoretischen und ideologischen Gründen ausgeschlossen, so wie wir es auch bei anderen neoliberalen Ökonomen schon gesehen haben, die immer wieder versuchen die Tatsache weg zu diskutieren, dass die jüngsten Wirtschaftskrisen zeigen wie die Märkte versagt haben. Wenn es ein Problem mit der Wirtschaft gibt, muss einfach die Regierung die wahre Ursache sein.

Diese Art der Chicago-Ökonomik stellt eine gefährliche pseudo-wissenschaftliche Zombie-Ideologie dar, die sich letztlich auf die Armen stützt, die für die Fehler der Reichen zahlen müssen. Der Versuch, die Konjunkturzyklen in Bezug auf rationale Erwartungen zu erklären, hat dabei krass versagt.

Vielleicht wäre es zu viel erwartet von „Süßwasser“-Ökonomen wie Lucas und Cochrane, dies zuzugeben, aber das ist immer noch eine Tatsache, die ihnen eigentlich peinlich sein sollte. Meine rationale Erwartung dagegen ist, dass in 30 Jahren niemand mehr wissen wird, wer eigentlich Robert Lucas oder John Cochrane waren. John Maynard Keynes dagegen wird auch dann noch immer als einer der Meister im Fach der Ökonomie bekannt sein.

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des schwedischen Ökonomen Lars Syll)