In den frühen Tagen der Ukraine-Invasion war eines der Hauptargumente von Putins Verteidigern, dass die Erweiterung der NATO eine Bedrohung für Russland darstellte und dass die Ukraine im Begriff war beizutreten.
Belgrad während der NATO-Bombardierung 1999
Dies hielt nicht einmal einer vorübergehenden Überprüfung stand. Die baltischen Staaten waren seit 2004 Mitglieder, ohne dabei etwas zu tun, um Russland zu bedrohen.
Und während die Verfassung der Ukraine das Ziel enthielt, der NATO beizutreten, so sei dies laut Präsident Selenskyj schon vor der Invasion eher ein „ferner Traum“ und er signalisierte deutlich die Bereitschaft, die Idee im Gegenzug für den Frieden aufzugeben.
Trotzdem gibt es einen wichtigen Grund, warum die NATO eine Mitverantwortung für diese Katastrophe trägt. Die US-Intervention im Kosovo, einschließlich der Bombar-dierung Belgrads, wurde von der NATO durchgeführt ohne die Unterstützung des UN-Sicherheitsrates, in dem Russland ein Veto-Recht hatte. Dies war ein erheblicher Verstoß gegen das Völkerrecht, gefolgt von einem viel größeren Bruch bei der Invasion des Irak.
Dabei herrschte damals in der „Foreign Policy Community“, auch bekannt als „the Blob“, sogar noch eine allgemeine Übereinstimmung darüber, dass
„die wichtigste Regel der überparteilichen außenpolitischen Gemeinschaft ist, dass Amerika in andere Länder eindringen und sie angreifen kann, wenn lebenswichtige amerikanische Interessen bedroht sind.“
Diese Regel war implizit auf die USA beschränkt. In der kurzen Zeit der US-Hypermacht konnte man davon ausgehen, dass die USA als Sheriff des globalen Systems Regeln der Nichtangriffshaltung gegen andere durchsetzen und gleichzeitig Richter und Geschworene in ihren eigenen Handlungen sein könnten. Ich argumentierte damals dagegen, wies auf die Macht des Beispiels hin und wurde für meine Naivität rundweg kritisiert.
Aber Putin achtete genau darauf und kam zu dem Schluss, dass, wenn Amerika über dem Gesetz stand, auch Russland genau so handeln konnte. Der Präzedenzfall im Kosovo spielte eine große Rolle bei seinen zunehmend aggressiven Aktionen, die (bisher) in der Ukraine-Invasion gipfelten.
Kontrafaktuale sind allerdings immer etwas knifflig. Vielleicht hätte Putin genauso gehandelt, auch ohne den Präzedenzfall der NATO. Doch er wurde sicherlich von den intellektuellen Real-Politikern noch ermutigt, da sie das Völkerrecht als ein Feigenblatt benutzten.
(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des australischen Ökonomen John Quiggin)