Noch einmal: Ist Wachstum gut?

Wann immer das Thema des Wirtschaftswachstums angesprochen wird gibt es eine weit verbreitete und verständliche Reaktion in dem Sinne, dass Wachstum ökologisch nicht nachhaltig oder sozial schädlich sei.

Countries by Real GDP Growth Rate in 2018
Länder nach realer BIP-Wachstumsrate im Jahr 2018
(Daten aus der WEO-Datenbank des IWF, April 2020)

Da eines der Hauptanliegen dieses Blogs das nachfragegesteuerte Wachstum ist, lohnt es sich viel-leicht innezuhalten, um über die Angemessenheit dieses Themas nachzudenken.

Die generelle Problematik kann dabei in zwei Abschnitte unterteilt werden. Warum sollte man über-haupt das Wachstum als solches betrachten? Und warum die Möglichkeit hervorheben, dass Wachs-tum nachfragegeleitet sein kann?

Das Wachstum als solches
Wirtschaftswachstum bedeutet einen kontinuierlichen Ausbau der Produktion. Output ist im Sinne der nationalen Buchhaltungsvorschriften ein monetärer Maßstab. Dies gilt unabhängig davon, ob der Wert für das Bruttoinlandsprodukt (oder ähnlichen Berechnungen) nominal (zu Marktpreisen) oder in so-genannten „realen“ (d.h. zu konstanten Preisen) Größen angegeben wird.

Das Wachstum der Produktion, wenn der nationale Output auf diese Weise definiert wird, kann mit oder ohne Umweltrisiken und sozialen Schäden erfolgen. In diesem Sinne ist Wachstum weder von Natur aus gut noch schlecht.

Natürlich hängt die Attraktivität und Nachhaltigkeit des Wachstums von der Art dieses Wachstums ab. Im Prinzip könnte eine Ökonomie, die hauptsächlich aufs Lernen (durch Bildung, Forschung und Entwicklung, Wissenschaft und Technologie, Kunst und Geisteswissenschaften), die Wiederherstellung und Erneuerung der natürlichen Umwelt, die Bereitstellung erstklassiger Gesundheit und Pflegedienste, den Aufbau von Qualitätsinfrastrukturen, die Entwicklung sozial harmonischer Institutionen und Prozesse sowie die Förderung von Kreativität und Spiel ausgerichtet ist, genauso gut wachsen wie eine auf militärisches Abenteurertum, Plünderung natürlicher Ressourcen und die Verbreitung von sozialen und psychologischen Krankheiten ausgerichtete.

Wenn eine Gesellschaft mehr Wissen hervorbringt, zum Beispiel mit den gleichen Ausgaben für Bildung, Wissenschaft und Forschung, sollte dies wirklich in angemessener Weise als Ergänzung zu „echtem“ Output betrachtet werden, obwohl natürlich Schwierigkeiten bei der Bewertung und Messung auftreten können.

Eine Schlüsselimplikation der modernen Geldtheorie ist die Fähigkeit, einer entsprechend ermächtigten und verantwortlichen währungsgebenden Regierung die Mittel bereitzustellen, um nachhaltige Akti-vitäten und Entwicklungspfade auszuwählen.

Dennoch könnte die Frage immer noch gestellt werden, warum wir das Bedürfnis oder den Wunsch haben zu wachsen? Warum sich nicht mit einer stationären Ökonomie zufrieden geben, oder vielleicht ist es sogar besser ein wenig zu schrumpfen?

Streng genommen erfordert nichts bei einer Betrachtung des Wirtschaftswachstums notwendiger-weise, dass wir hohe oder sogar positive Wachstumsraten priorisieren. Insbesondere wenn wir an eine zukünftige Gesellschaft mit Arbeitsplatzgarantie denken, könnte Vollbeschäftigung mit oder ohne positive Wachstumsraten aufrechterhalten werden.

Wir können versuchen, die Merkmale des Wachstumsverhaltens einer Volkswirtschaft zu verstehen, egal ob dieses Wachstum quantitativ positiv oder negativ ist.

Trotzdem erscheint es nach dieser Feststellung wahrscheinlich, dass die meisten Menschen Wachs-tum als positiv ansehen werden, vorausgesetzt, es ist das richtige Wachstum. Letztendlich kann und sollte Wachstum im weitesten Sinne die nachhaltige Entwicklung der Menschheit und anderer Spezies sein.

Ein solches Wachstum wird immer weniger über die Produktion von irgendwelchen Dingen sondern immer mehr über das Erreichen von Wissen, Frieden und Verständnis, sozialem Zusammenhalt, einem erweiterten Spielraum für individuelle Fähigkeiten und Kreativität und so weiter erreicht.

Nachfragegetriebenes Wachstum
Ein Motiv dafür, die Möglichkeit dieser Wachstumsart in Betracht zu ziehen, ist die Implikation, dass dies für die Makroökonomie als Ganzes gelten würde. Die zentrale Idee des nachfrageorientierten Wachstums besteht aus deiner Schlüsselannahme, der die kaleckische oder keynesianische Sichtweise der Output-Bestimmung zugrunde liegt.

Diese Auffassung geht davon aus, dass eine Veränderung der Nachfrage Schwankungen im Produktionsniveau (reale Produktion) mehr oder weniger unabhängig von Veränderungen (zum Teil) des Preisniveaus verursacht. Eine kritische dieser Position zugrunde liegende Annahme geht davon aus, dass es freie Kapazitäten und Reserven an Arbeitskraft und anderen Ressourcen gibt, mit denen sich die Produktion auf die vorgeschlagene Weise an die Nachfrage anpassen kann.

Die bedarfsorientierte Wachstumstheorie macht Sinn bei der Idee, dass freie Kapazität nicht nur eine kurzfristige, sondern normalerweise über einen beliebigen Zeitrahmen gültige Annahme ist. Auf lange Sicht ist sie sogar noch besser anwendbar als in der kurzen Frist.

Der Grund liegt als besondere Betonung der nachfrageorientierten Wachstumstheorie darin, dass die Produktion nicht nur durch eine umfassendere Nutzung vorhandener Kapazitäten sondern auch durch Investitionen selbst auf die Nachfrage reagieren kann.

Moderne Volkswirtschaften operieren fast immer weit unter ihrer physischen Maximalkapazität. Durchschnittliche Auslastungsraten von etwa 80 bis 85 Prozent scheinen typisch zu sein. In den USA zum Beispiel schwankte die Nutzungsrate zwischen ca. 67 und 90 Prozent, seit die Aufzeichnungen 1967 veröffentlicht wurden.

Wie ist das möglich?

Es ist möglich, weil Unternehmen schon lange bevor die volle Kapazität erreicht ist, über die von ihnen als „normal“ angesehenen Nutzungsraten hinaus operieren – d.h. über die Auslastungsraten hinaus, die sie für die durchschnittlich erwartete Nachfrage für angemessen halten, was sie dann auch zu weiteren kapazitätsausweitenden Investitionen verleitet.

Warum wollen Firmen unterhalb der vollen Kapazität arbeiten?

Sie tun dies vor allem wegen der Ungewissheit, zu welchem ​​Grad die Nachfrage ihre Produktion tatsächlich auslasten wird. Geplante Margen von Kapazitätsreserven geben ihnen Spielraum, so dass sie auf Schwankungen der Nachfrage mit Produktionsänderungen reagieren können und nicht riskieren, Kunden an Konkurrenten zu verlieren. Kurz gesagt, freie Kapazitäten geben Flexibilität.

Für diese Ansicht des nachfragegesteuerten Wachstums ist es nicht kritisch, dass die Preise als konstant angenommen werden. Es ist nur notwendig, dass der reale Output in der vorgesehenen Weise auf die Nachfrage reagiert.

Auf kurze Sicht kann eine verstärkte Nachfrage vorübergehende Preiseffekte in den Sektoren verur-sachen, die näher an der Kapazitätsgrenze operieren als andere. Dieser Preisdruck kann so lange anhalten, bis neue Kapazitäten geschaffen wurden, sei es durch neue Firmen oder durch den Ausbau bestehender Betriebe.

Solange das Produktionsniveau insgesamt auf die Nachfrage in der angenommenen Weise reagiert, gibt es für die nachfrageorientierte Wachstumstheorie keine Schwierigkeiten, da ihr Schwerpunkt auf dem Verhalten der realen Produktion liegt.

Gleichzeitig macht die Möglichkeit vorübergehender Preiseffekte tatsächlich langfristig eine praxistaugliche Annahme der Unabhängigkeit zwischen Preisniveau und Output plausibler als kurzfristig, weil der längere Zeitrahmen eine volle Wirkung von Investitionen auf die Kapazitäten ermöglicht.

Überschüssige Arbeitskraftreserven sind ebenfalls ein normales Merkmal des Systems. Dies liegt zum Teil daran, dass der Kapazitätsausbau nicht nur durch eine Erweiterung der Skalenerträge bei gegebener technischer Effizienz sondern auch durch technischen Fortschritt erreicht wird, der es ermöglicht, das gleiche Produktionsniveau mit weniger Arbeitsaufwand zu erreichen.

Darüber hinaus liegt es teilweise daran, dass Kapitalisten bisher ungenutzte Quellen von Arbeitskraft in nichtkapitalistischen Bereichen der Weltwirtschaft nutzen können (unabhängig davon, ob diese Individuen in so genannten entwickelten oder sich entwickelnden Volkswirtschaften leben).

Es besteht auch die Tendenz, dass sich das Angebot an Arbeitskräften in Zeiten starker Nachfrage aufgrund individueller Entscheidungen über die Erwerbstätigkeit ausweitet. Einige Personen, die in Phasen der Stagnation bei der Arbeitssuche entmutigt werden, treten wieder in den Arbeitsmarkt ein, wenn sich die Aussichten verbessern.

Wie bei den Anlagen und Maschinen, die normalerweise in unterschiedlicher Anzahl in verschiedenen Sektoren auf der Grundlage eines unausgewogenen Wachstums eingesetzt werden, kann die Ver-sorgung mit Arbeitskräften in einigen Bereichen eher „austrocknen“ als in anderen.

Auch hier können sich Preiseffekte in betroffenen Sektoren ergeben. Wie bei den überzähligen Kapazitäten ist die Annahme eines Überschusses an Arbeitskräften über längere Zeiträume eher plausibel als ein Mangel. Auf lange Sicht gibt es genügend Zeit, neue Arbeitskräfte auszubilden oder eben Neuerungen einzuführen, um den Bedarf an bestimmten Arbeitskräften zu reduzieren.

Die drängendste Einschränkung ist dabei die durch die Umwelt. Wie schon betont, müssen wir uns innerhalb der Grenzen der natürlichen Ressourcen der Art des Wachstums und der Art von Aktivitäten bewusst sein, die wir priorisieren.

Hier sollten Regierungen mit eigener Währung (also auch die EU!) in der Lage sein, die richtigen Akti-vitäten zu fördern oder durchzuführen und eine umweltschädliche Produktion zu verhindern oder zu verbieten.

(Eigene Übersetzung eines schon älteren Blogbeitrages des australischen Ökonomen Peter Cooper, der aber nichts an Aktualität verloren hat)