Oder die Selbstwidersprüchlichkeit der Mittelschicht
Wie sehr die volkswirtschaftliche Saldenmechanik und ihre Grundsätze aus dem kollektiven Bewußtsein verschwunden sind, kann man am besten mit einer Suche im Internet feststellen.
Das Buddenbrooks-Haus in Lübeck
Nur noch wenige Perlen einer alternativen Sichtweise auf die wirklichen Zusammenhänge zwischen Schulden und Vermögen sind da zu finden. Eine große Ausnahme stellt dabei das Blog Guthabenkrise dar.
Dort habe ich z. B. einen Hinweis auf die Studie Der kollektive Buddenbrooks-Effekt von Christoph Deutschmann vom Max-Plank Institut für Gesellschaftsforschung gefunden.
Bereits 2008 kam Deutschmann damit zu einem bemerkenswerten Fazit zur deutschen Mittelschicht und ihrem Verhältnis zu den Finanzmärkten:
Wir haben es mit einem in hohem Grade selbstwidersprüchlichen Handeln der Vermögensbesitzer zu tun, nicht nur der Superreichen, sondern auch der zahlreichen Anleger in der Mittelschicht. Die Anleger glauben, ein Naturrecht auf Gewinne zu haben. Sie geben sich der egozentrischen Illusion absoluten Reichtums hin, während sie mit ihrem faktischen Handeln beziehungsweise mit den kollektiven Folgen dieses Handelns die Bedingungen für die Produktion realen Reichtums zerstören.
Der heutige Finanzmarkt-Kapitalismus hat Eigentum und unternehmerische Tätigkeit in einem historisch beispiellosen Maß entkoppelt. Millionen von Aktien- und Fondsanteilbesitzer erwarten „Erträge“ auf ihr Geld, ohne sich die geringsten Gedanken darüber zu machen, wo die Schuldner herkommen sollen und ohne selbst ein unternehmerisches Risiko zu übernehmen. Das hohe Lied der unternehmerischen Tugenden predigt man lieber den anderen. Dass es dort, wo es keine schöpferische Zerstörung mehr gibt, auch keinen Kapitalgewinn mehr geben kann, will man nicht wahrhaben. Mit dem exzessiven Wachstum der Geldvermögen müsste es ja auch entsprechend mehr und immer härter arbeitende Schuldner geben.
Im Fazit seiner Studie hat Christoph Deutschmann in ein paar Sätzen das ganze Dilemma unserer heutigen wirtschaftlichen Situation kurz und präzise analysiert.
Es ist dabei mehr als bezeichnend, dass er die Saldenmechanik mit keinem Wort erwähnt, aber im Ergebnis seiner Studie ihre Grundsätze im Prinzip explizit bestätigt.
Ich schätze mal, dass selbst Wolfgang Stützel die Anwendbarkeit seiner „Sätze“ zur formalen Theorie wirtschaftlicher Gesamtgefüge (S. 20 ff. seines Buches „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik“) nicht besser hätte nachweisen können, als dies hier Christoph Deutschmann in seiner Studie gelungen ist.
Es wäre daher mehr als angebracht, wenn Politik, Medien und Wirtschaftswissenschaften die einfachen Lehrsätze der Saldenmechanik wieder aufgreifen würden:
a) Einnahmen = Ausgaben
Die Ausgaben des Einen sind die Einnahmen des Anderen und umgekehrt.
b) Geldforderungen = Geldschulden
Eine Ökonomie kann durch das Sparen von Geld nicht reicher werden. Die Summe aller Geldvermögen und Schulden ist immer Null. Die Höhe der Geldvermögen bestimmt die Höhe der Schulden.
c) Einnahmenüberschuss eines Sektors der Ökonomie = Ausgabenüberschuss der anderen Sektoren
Sobald alle Sektoren einer Ökonomie konsequent und unbeirrbar versuchen würden, weniger auszugeben als sie einnehmen, würde die Ökonomie sofort zum völligen Stillstand kommen = Sparparadoxon.
Doch ganz ehrlich gesagt, hege ich da eher wenig Hoffnung auf Besserung.
Die absolute Dominanz einzelwirtschaftlicher Vorurteile prägt weiterhin die ökonomische Diskussion unserer Tage. Mit Schuldenbremsen und erzwungener Austerität für die europäischen „Sünder“-Länder feiert diese verheerende Ansicht weiter fröhliche Urständ in Europa und vor allem in Deutschland.
Ein großer Teil der Bevölkerung glaubt offenbar immer noch an die absolute Gültigkeit der Prinzipien der schwäbischen Hausfrau auch in gesamtwirtschaftlichen Belangen, fleißig unterstützt von vielen Politikern, Ökonomen und den meisten Medien.
Auch um diese Irrglauben zu berichtigen, Unwissenheit zu beseitigen und verschüttetes volkswirtschaftliches Wissen wieder freizulegen, gibt es dieses Blog.