Was uns die COVID19-Pandemie über unsere Prioritäten, unseren Planeten und die Degrowth-Bewegung lehrt

Einige Umweltschützer haben lange Zeit argumentiert, dass das Wirtschaftswachstum zum Wohle des Planeten enden müsse. „Degrowth“ wird von einem der Befürworter, Riccardo Mastini kurz definiert als „die Abschaffung des Wirtschaftswachstums als soziales Ziel“.

Décroissance graffiti
Degrowth-Graffiti an einer Wand in Neuchâtel (Schweiz)

Degrowth vertritt die Ansicht, dass eine ausreichend starke Reduzierung der Kohlen-dioxidemissionen nicht durch neue Technologien, Preisanreize oder sogar größere Investitionen in Energie- und Verkehrssysteme erreicht werden kann. Das einzige, was funktionieren würde, wäre das dauerhafte Ende des Wirtschaftswachstums.

Die Pandemie gibt uns einen Vorgeschmack darauf, wie ein Ende des Wachstums aus-sehen könnte. Welche Lektionen sollten wir also lernen?

Die Lockdowns haben zwar die Kohlendioxidemissionen gedrückt, doch weniger als wir erhoffen konnten. Die klimawissenschaftliche Website CarbonBrief schätzt, dass die Emissionen im Jahr 2020 im Vergleich zu den Emissionen des letzten Jahres voraus-sichtlich um etwa 5 bis 6 Prozent sinken werden. Das wäre der größte Rückgang seit ihrem Bestehen.

Was überraschen könnte wäre die Tatsache, dass es nicht genug ist. Wenn die Kürzungen für den Rest des Jahrzehnts mit dieser Rate verschärft würden, würden wir immer noch nicht den Schätzungen des UN-Umweltprogramms entsprechen die erforderlich wären um den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. (Ein 2-Grad-Ziel wäre einfacher: Fünf Pandemien im nächsten Jahrzehnt würden da schon ausreichen.)

Offensichtlich wäre es hoffnungslos, anspruchsvolle Emissionsziele durch eine reine Rohölreduzierung zu erreichen. Das menschliche Elend wäre immens.

Ebenso wie die politische Gegenreaktion. In Bezug auf die langsam köchelnde Krise des Klimawandels ist das Coronavirus lebendig und unmittelbar. Es tötet jeden Tag Tausende von Menschen, oft in den reichsten und berühmtesten Städten der Welt.

Es sollte daher eigentlich leicht sein, die Leute dazu zu bringen sich um die Idee zu versammeln, Opfer zu bringen um das Virus zu besiegen. Dennoch gibt es immer noch eine stimmgewaltige Minderheit, die sich jeglichem wirtschaftlichen Verzicht widersetzt. Das sollte jeden von uns verunsichern, der sich Sorgen über die weitaus diffusere Bedrohung durch den Klimawandel macht.

Verfeinerte politische Richtlinien übertreffen normalerweise in ihrer Effektivität die gröberen. Der Grund, warum wir uns für die Härte eines Lockdowns entschieden haben war, dass wir keine besseren Optionen entwickelt hatten. Wir hatten keinen Impfstoff, wir hatten nicht viele Möglichkeiten der Behandlung und in vielen Ländern konnten wir nicht einmal die Grundlagen wie Teststationen, Kontaktverfolgung und Schutzausrüstung für Mediziner zusammenbringen.

Raffinierte Entscheidungen sind auch für den Klimawandel besser. Wir könnten natürlich unsere Lebensgrundlagen zerstören um den Zusammenbruch des Ökosystems zu verhindern, genauso wie wir sie zurückgefahren haben um den Massentod durch Covid-19 zu verhindern. Doch auch das wäre nur ein letzter Ausweg, als das Eingeständnis, dass wir keine Alternativen hätten.

Wir besitzen aber in der Tat viele Alternativen, obwohl wir gezögert haben sie zu nutzen: Forschungssubventionen für grüne Technologie; Unterstützung für die intelligenten Netze, die zur Nutzung immer billigerer Solar- und Windenergie erforderlich sind; nicht zuletzt eine CO2-Preisgestaltung. Das letztere war politisch eine harte Nuss, doch man könnte darauf wetten, dass es besser abschneidet als eine tiefgrüne Permadepression.

Während viele Umweltschützer zusammen mit Greta Thunberg zu der Einschätzung vom „Märchen des ewigen Wirtschaftswachstums“ nicken würden, müssten die meisten trotzdem natürlich anerkennen, dass die Priorität nicht darin besteht das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts auf Null oder darunter zu reduzieren, sondern stattdessen die Emissionen zu reduzieren, natürliche Ökosysteme widerherzustellen und menschliche Blüte und Freiheiten zu erhalten.

So weit so gut. Wenn die Beendigung des Wachstums jedoch nicht das Ziel, sondern das Mittel zum Zweck ist, könnte man vielleicht auch erkennen, dass es kein sehr wirksames Mittel ist? „Wirtschaftswachstum abschaffen“ ist ein radikaler politischer Slogan, aber wenn wir nach politischen Hebeln suchen, die wir dafür bewegen können, kehren wir zu bestimmten Steuern, Subventionen, öffentlichen Investitionen und Vorschriften zurück. Warum hören wir nicht auf über Degrowth zu sprechen, und konzentrieren uns auf die besonderen Richtlinien, die sich mit Umweltzerstörung befassen könnten?

Wir könnten feststellen, dass diese Politik, angewandt mit ausreichender Kraft um den Planeten zu retten, tatsächlich den Nebeneffekt hat das Wirtschaftswachstum zum Stillstand zu bringen. Man kann das bezweifeln. Doch der Weg, dies herauszufinden besteht darin, es zu versuchen. Wir könnten angenehm überrascht sein, wie flexibel wirtschaftliche Aktivitäten sein können und wie viel Spaß wir alle haben könnten, wenn wir die Grenzen unseres Planeten einhalten.

Doch auch hier bringt die Pandemie es auf den Punkt. Da wir uns kurzfristig nur wenige Optionen gelassen haben, haben wir den Virus mit Lockdowns bekämpft. Diese Ausgangssperren haben das Wachstum beschädigt. Es gibt jedoch keine „Degrowth-Epidemiologen“, die argumentieren, dass die Drosselung der Wirtschaftstätigkeit eher das Ziel als die unerwünschte Nebenwirkung ist und dass Impfstoffe und Kontaktverfolgung Märchen sind, die von neoliberalen Ökonomen vertrieben werden.

Das Virus hat uns gelehrt, dass unsere Lebensweise anfälliger ist als wir es vielleicht erhofften. Es hat uns gelehrt, wie wichtig es ist jetzt Opfer zu bringen, um sich auf vorhersehbare Risiken in der Zukunft vorzubereiten. Es hat uns vielleicht sogar daran erinnert, dass es nicht immer notwendig ist zur Arbeit zu fahren oder für ein Meeting um die halbe Welt zu fliegen, und an die Freude, durch ruhige Straßen zu gehen oder Rad zu fahren.

Diese Lektionen können uns helfen, mit der Bedrohung durch den Klimawandel umzugehen, die immer noch über uns schwebt. Aber unsere Freunde in der Umwelt-bewegung sollten sich noch eine Lektion zu Herzen nehmen: Wenn Degrowth die einzige Lösung ist, die wir für unsere Probleme finden können, haben wir vielleicht nicht genau genug nachgedacht.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des britischen Ökonomen Tim Harford)