Richard Koo: das Sparparadoxon war bis zur industriellen Revolution die eigentliche Regel

Wenn man in der Geschichte weiter (als allgemein üblich) zurückblickt, kann man feststellen, dass die wirtschaftliche Stagnation aufgrund eines Mangels an Kreditnehmern für Tausende von Jahren vor der industriellen Revolution in den 1760er Jahren als die Norm angesehen werden kann.


Bild 1: Das Wirtschaftswachstum wurde erst nach der industriellen Revolution zu einer allgemeinen Regel

Wie in Bild 1 gezeigt, fiel das Wirtschaftswachstum in den Jahrhunderten davor verschwindend gering aus. Wahrscheinlich gab es trotzdem viele Individuen, die in dieser Zeit des Nullwachstums versuchten zu sparen, da die Menschen sich schon immer Sorgen über eine ungewisse Zukunft gemacht haben.

Die Vorbereitung auf das Alter und die Angst vor dem sprichwörtlich verregneten Tag sind tief verwurzelte Aspekte der menschlichen Natur. Auch wenn es nur allzu menschlich ist, sparen zu wollen, die jahrhundertelange wirtschaftliche Stagnation vor der industriellen Revolution muss vor allem aufgrund eines Mangels an Kreditnehmern entstanden sein.

Damit sich der private Sektor Geld leihen kann, benötigt er eine saubere Bilanz und vielversprechende Investitionsmöglichkeiten. Letztlich werden im privaten Sektor Unternehmen nur dann Kredite aufnehmen, wenn sie sich sicher sind, dass sie die Schulden mit Zinsen zurückzahlen können.

Aber mit nur geringer oder gar keiner technologischen Innovation vor der industriellen Revolution, die übrigens im Wesentlichen eben eine technologische Revolution war, gab es nur wenige Investitionsprojekte, die in der Lage waren, sich selbst zu finanzieren. Die Unternehmen versuchen zudem in der Regel ihre Schulden zu minimieren, wenn sie keine Investitionsmöglichkeiten sehen, da die Wahrscheinlichkeit eines Konkurses sich drastisch reduziert, wenn das Unternehmen keine Schulden abtragen muss.

Geht man von einem Mangel an Investitionsmöglichkeiten vor der industriellen Revolution aus, so ist es leicht zu verstehen, warum es nur so wenige bereitwillige Kreditnehmer gab. Aufgrund dieser Abwesenheit lohnender Anlagemöglichkeiten schrumpfte die Wirtschaft umso mehr, je mehr die Menschen sich bemühten zu sparen.

Das Ergebnis war ein ständiges Sparparadoxon (engl. Paradox of thrift), in dem die Menschen versuchten zu sparen, doch ihre verstärkten Handlungen und Absichten nur dazu führten, die Volkswirtschaft weiter in einem depressiven Zustand zu halten. Dieser Zustand dauerte sowohl im Osten als auch im Westen über Jahrhunderte an.

Mächtige Herrscher liehen sich manchmal die durch den privaten Sektor gesparten Mittel und verwendeten sie zum Ausbau der sozialen Infrastruktur oder um Denkmäler zu errichten. Bei diesen Gelegenheiten wurde der Teufelskreis des Sparparadoxons durchbrochen, weil die Regierung die gesparten Fonds (…) wieder in den Einkommensstrom injizierten und so schnelles Wirtschaftswachstum generierten.

Doch auch wenn sich das Projekt am Ende auszahlte – und Politiker sind selten gut darin, Investitionsprojekte auszuwählen, die auch noch profitabel sind – würde die Regierung irgendwann kalte Füße im Angesicht einer gewaltigen Schuldenlast bekommen und ihre Investitionen beendet haben. Die gesamte Wirtschaft würde dann wieder zurück in das Sparparadoxon verfallen und abermals stagnieren. Folglich hielten sich viele dieser Regime längst nicht so lange wie die Monumente, die sie geschaffen hatten.

Manche Länder versuchten darüber hinaus Wirtschaftswachstum zu erreichen, indem sie ihre Herrschaftsgebiete erweiterten, das heißt, sie erwarben mehr Grund und Boden, die als die Schlüsselfaktoren der Produktion in vorindustriellen landwirtschaftlichen Gesellschaften galten.

Tatsächlich glaubten die Menschen jahrhundertelang, dass die territoriale Expansion für das Wirtschaftswachstum notwendig war. Dieser Antrieb für mehr Wohlstand gilt heute allgemein als der wichtigste wirtschaftliche Beweggrund für Kolonialismus und Imperialismus. Doch beide waren im Grunde genommen ein Nullsummenspiel für die Weltwirtschaft als Ganzes und führten zudem auch zu unzähligen Kriegen und unendlichem Leid und Tod.

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des taiwanischen Ökonomen Richard Koo)