Noah Smith: Die unfreiwilligen Opfer des Freihandels

Wenn Menschen über Nutzen und Schäden des freien Handels sprechen, beziehen sie sich in der Regel auf den Arbeitsmarkt. Das macht Sinn, da der Verlust seines Jobs einen sehr großen Einfluss auf das Leben einer Person hat.


Entwicklung der Nahrungsmittelpreise in den USA seit 2000
im Verhältnis zum allgemeinen Preisniveau

Auch wenn man dann einen anderen Job findet, benötigt das Zeit und Geld und verursacht viel Stress. Es stört das gewohnte Leben, und manchmal findet man keinen so guten Job wie den, den man vorher hatte. Daher wundert es nicht, dass neue Forschungs- ergebnisse der Ökonomen David Autor, David Dorn und Gordon Hanson, die zeigen, wie sehr der Handel mit China vielen Arbeitnehmern in den USA geschadet hat, so viel Aufsehen verursachten.

Wir können uns dabei leicht den ganzen Stress vorstellen, die Angst, die Demütigung und die Hoffnungslosigkeit der Arbeitnehmer, deren Karrieren innerhalb eines Tages zerstört wurden, so dass sie abhängig von der Sozialhilfe wurden oder in einem Job arbeiten mussten, der nur halb so gut bezahlt wird. Wenn Autor et al. recht haben, so benachteiligte der „China-Schock“ der 2000er Jahre mehr Arbeiter als er tatsächlich besserstellte.

Die Verteidiger des freien Handels erwidern darauf oft, dass die Arbeitsmärkte nicht die einzigen vom Handel betroffenen Märkte seien. Viele der Dinge, die wir kaufen, von TV und Telefon bis hin zu Spielzeug und Kleidung und Lebensmittel werden in internationalen Märkten gehandelt.

Sich dem Handel zu öffnen verringert nicht immer den Preis aller Güter, die wir kaufen, aber es neigt dazu, die meisten Sachen auf zwei Arten günstiger zu machen. Zunächst ermöglicht es den Verbrauchern diese Güter von Unternehmen kaufen, die sie in Übersee billiger herstellen können – diese Kostenersparnis wird teilweise in Form niedrigerer Preise weitergegeben.

Zweitens erlaubt es der globale Handel Ländern ihre eigene Produktion auf spezielle Güter zu konzentrieren, die sie besonders effizient herstellen können, auch dies tendiert dazu, die Preise nach unten zu drücken.

Niedrigere Preise beseitigen einige der Schmerzen – hoffentlich alle – aufgrund niedriger Löhne. Sie bieten sogar ein wenig Erleichterung für die wenigen Unglücklichen, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb werden günstigere Verbraucherpreise oft als einer der wichtigsten Vorteile von Verteidigern der Freihandelspolitik angeführt.

Doch es gibt dabei einen gewaltigen Haken – der internationale Handel beeinflusst nicht alle Preise gleichermaßen. Einige Dinge werden viel billiger, bei anderen Sachen ändert sich kaum etwas, und ein paar Güter können sogar noch teurer werden. Wenn der Warenaustausch dabei versagt, die Preise für die Güter zu senken, die von den Menschen gekauft werden, die ihre Arbeit an die ausländische Konkurrenz verloren haben, dann bedeutet das einen zweifachen Einschnitt für diese Leute.

Der Ökonom Sergey Nigai, ein Forscher an der ETH Zürich, entwickelte ein Modell, welches den Handel in den Austausch von Lebensmitteln und Non-Food-Waren aufschlüsselte. Es zeigt zudem, da die Produktivität der Landwirtschaft rund um den Globus weniger stark variiert als die Produktivität in anderen Branchen, dass der internationale Handel dazu neigt, die Preise für Fertigwaren und Dienstleistungen sehr viel mehr als die Lebensmittelpreise zu senken. Das sind schlechte Nachrichten für Menschen, die einen großen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen – eben die Arbeiterklasse und die Armen.

Und in der Tat hatte die Explosion des Freihandels in den USA seit dem Jahr 2000 nur wenig Einfluss auf die Nahrungsmittelkosten. Obige Grafik verdeutlicht das Verhältnis der Lebensmittelpreise zu den Preisen insgesamt.

Was aber ist im Preis gefallen? Verarbeitete Waren – Kleidung, Elektronik, Autos und Spielzeug.

Das bietet einen gewissen Nutzen für die weniger Begüterten und die Arbeiternehmer insgesamt. Vorbei sind die Zeiten, in denen arme Kinder sich Kleider leihen oder aus Mangel an warmen Jacken im Winter frieren mussten. Mein Großvater, der während der Großen Depression als Teenager mithelfen musste, die Familie zu ernähren, stopfte seine Schuhe mit Karton aus, wenn die Sohlen abgenutzt waren. Das passiert heute nicht mehr, zum Teil auch dank billiger Schuhe aus Übersee. Arme Kinder profitieren zweifellos ebenso davon, mehr Spielzeug zu besitzen und Telefone sind so günstig, dass auch viele nicht so reiche Menschen sie sich leisten können.

Aber im Allgemeinen profitiert von diesen Preisrückgängen die Mittelschicht mehr als die Arbeiterklasse und die Armen, weil diejenigen, die mehr verdienen dazu neigen, einen größeren Anteil ihres Einkommens für Autos, Fernseher und Möbel auszugeben, während sie davon relativ weniger für Lebensmittel verbrauchen.

Inzwischen gibt es aber auch noch eine andere Art und Weise, durch die die Preisänderungen aus dem Freihandel den Arbeitnehmern schaden können. Dieser Handel pusht vor allem die Einkommen der wohlhabenderen Klassen, und die daraus resultierende Nachfrage wird dazu neigen, die Preise für die Dinge anzuheben, die nicht im Ausland gehandelt werden können, wie zum Beispiel der Wohnungsbau. Arbeitnehmer und ärmere Amerikaner zahlen daher einen größeren Anteil ihres Einkommens für die Miete. Und die Durchschnittsmieten sind im Vergleich zu den mittleren Einkommen stark gestiegen.

So traf der Handel mit China die US-Arbeiterklasse besonders hart in Bezug auf Arbeitsplätze und Löhne. Doch seine Vorteile flossen dagegen vor allem in die mittlere und obere Mittelschicht. Dies zeigt, wie schwierig es werden kann, wenn man die Verteilungseffekte des internationalen Handels nicht berücksichtigt. Nicht alle Boote steigen gleichzeitig mit der Flut, und viele gehen stattdessen unter, wenn ein großer Schock aus dem Ausland auftritt.

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des amerikanischen Ökonomen Noah Smith)