Wir alle kennen die Bilder von Schlamm und Tod in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Doch erst im vergangenen Jahr haben viele von uns Fotos von der Influenzapandemie gesehen, die im letzten Kriegsjahr und bis 1919 wütete.
Notfall-Krankenhaus des US-Militärs in Kansas 1918 oder 1919
Als Vorahnung unserer eigenen Zeit zeigen sie Stationen voller kranker und sterbender Patienten mit maskierten Krankenschwestern, Polizisten und normalen Bürgern sowie sogar schon Anti-Masken-Demonstranten.
Der Große Krieg (wie er damals genannt wurde) verursachte direkt den Tod von fünfzehn bis zweiundzwanzig Millionen Menschen, von denen etwa die Hälfte Zivilisten waren, und eine ungefähr gleiche Anzahl schwerer Verletzungen.
Die Pandemie von 1918-19 war jedoch noch tödlicher und forderte das Leben von rund fünfzig Millionen Menschen oder rund 3 Prozent der damaligen Weltbevölkerung. Der Verlust an Leben war sogar größer als die meisten Schätzungen des Tributs des Zweiten Weltkrieges, welcher allgemein als das tödlichste Ereignis in der Geschichte angesehen wird.
Die Verbindung zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Influenzapandemie war mehr als nur ein Zufall des Zeitpunkts. Massive Truppenbewegungen auf der ganzen Welt – zu dieser Zeit beispiellos, aber ein Hinweis auf unsere eigene Welt ausgedehnter Touristen- und Geschäftsreisen – dienten als ein wesentlicher Faktor für die Ausbreitung der Pandemie von 1918-19.
Und wie bei den gegenwärtigen Pandemien spielte die Nähe von Menschen und Tieren, die Lebensmittel produzieren eine große Rolle. Neuere Forschungen haben jedoch auch auf direktere Verbindungen zum Krieg hingewiesen, einschließlich der Rolle von Giftgas und des durch den Konflikt verursachten lokalen Klimawandels.
Die Pandemie von 1918-19 wurde ursprünglich als Spanische Grippe bezeichnet, da Fälle in Spanien, insbesondere des damals schwer erkrankten Königs Alfons XIII. in großem Umfang bekannt gemacht wurden. Als neutrale Macht hatte Spanien keine wie in anderen europäischen Ländern vorherrschende Kriegszensur verhängt.
Der erste aufgezeichnete Fall, an dem Albert Gitchell, ein Armeekoch im Camp Funston in Kansas entscheidend beteiligt war, ereignete sich am 4. März 1918 in den Vereinigten Staaten. Zu diesem Zeitpunkt gestaltete er sich nicht tödlicher als die übliche saisonale Influenza-Epidemie. Erst in den Gräben und Camps an der Westfront nahm die Krankheit jene tödliche Form an, die Millionen und insbesondere junge Menschen das Leben kosten sollte.
Im Jahr 2005 kam ein Forscherteam unter der Leitung von J.S. Oxford vom St. Bartholomew’s Hospital in London zu dem Schluss, dass der Hauptschuldige ein britisches Basislager in Etaples in Nordfrankreich war. „Das Etaples-Lager hatte die notwendige Mischung von Faktoren für die Entstehung einer pandemischen Influenza“, heißt es in dem Bericht, „einschließlich Überfüllung (mit 100.000 Soldaten, die täglich wechselten), sowie lebenden Schweinen, Pferden und nahe gelegenen Gänsen-, Enten- und Geflügel-märkten.“
Es gab aber auch noch einen zusätzlichen Faktor: „Vierundzwanzig verschiedene Giftgase (von denen einige mutagen waren), die in großen Mengen von hunderten Tonnen verwendet wurden, um Soldaten und die Landschaft zu kontaminieren.“
Zu den im Ersten Weltkrieg verwendeten Gasen gehörten Chlor, Phosgen und (vielleicht das schrecklichste von allen) Senfgas, das nicht nur auf der Haut Verätzungen und Blasen hervorrief, sondern auch stark krebserregend und mutagen war. Der Ausbruch der Grippe, die für die jungen Männer, unter denen sie sich ausbreitete besonders tödlich war, musste wahrscheinlich auf die mutagenen Wirkungen eines oder mehrerer dieser Gase zurückzuführen sein, kombiniert mit einer wiederholten Übertragung vom Menschen auf Tiere und umgekehrt.
Noch auffälliger ist die Möglichkeit, dass Bodenpartikel, Sprengstoffe und andere Chemikalien, die durch den kontinuierlichen Beschuss der Westfront erzeugt wurden, eine Rolle bei der Entstehung einer sechsjährigen europäischen Klimaanomalie spielten, die durch ungewöhnlich kaltes und regnerisches Wetter gekennzeichnet war – Wetter, das sowohl zum berüchtigten Schlamm der Gräben als auch der Schwere der Pandemie beitrug.
Neben den offensichtlichen Auswirkungen des kalten Wetters, das die Immunität schwächte und das Gedränge in Innenräumen förderte, störte die Klimaanomalie die Migrationsmuster von Stockenten und anderen Vögeln, die wichtige Überträger für die Krankheit waren.
Die Existenz der Klimaanomalie wurde kürzlich von einem Team, zu dem Alexander More und Paul Mayewski vom Climate Change Institute der University of Maine gehörten nachgewiesen. Unter Verwendung eines aus den europäischen Alpen entnommenen Eiskerns zeigten sie die Existenz einer sechsjährigen Periode von starkem Regen, Schnee und kaltem Wetter, angetrieben durch einen Zufluss kalter Luft.
Wie sie berichteten, spielten diese Bedingungen eine wichtige Rolle bei der „Vorbereitung des Ausbruchs, der Ausbreitung und der Mutation der H1N1-Pandemie sowie der Zunahme aller Todesfälle aufgrund weit verbreiteter Ernteausfälle und sich verschlechternder Schlachtfeldbedingungen“.
Die Forscher zeigten, dass die Sterblichkeit in Zeiten niedrigerer Temperaturen und höherer Niederschläge zunimmt. Diese Bedingungen waren während vieler der großen Schlachten des Ersten Weltkriegs vorhanden und haben möglicherweise die Virulenz der Influenza erhöht.
Unter Berücksichtigung des Krieges und der Pandemie vermuteten die Forscher, dass der Zeitpunkt der Klimaanomalie nicht zufällig war. Die massiven Mengen an Schmutz und Staub, die durch das kontinuierliche Bombardement in die Luft geschleudert wurden sowie die große Auswahl an verwendeten Chemikalien hätten den Keim der Regenwolken bilden können.
Dies war vielleicht der erste Fall eines Krieges, der seine zerstörerische Kraft durch klimatische Effekte verstärkte. Später, während des Zweiten Weltkriegs wurden die zerstörerischen Auswirkungen von Brandbomben durch Feuerstürme verstärkt, die starken Winde erzeugten, wenn Feuer in den von Brandbomben getroffenen Gebieten den gesamten Sauerstoff verbrauchte.
Noch schlimmer, jedoch immer noch Gott sei Dank nur hypothetisch, wäre die Aussicht auf einen nuklearen Winter, der durch die massiven Brände eines nuklearen Austauschs verursacht würde.
Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. 1914 setzten Nationalismus und Imperialismus die vier apokalyptischen Reiter frei. Die durch die Kämpfe ausgelösten Seuchen, Hungersnöte und der millionenfache Tod wurden durch den vom Krieg selbst verursachten Klimawandel verschlimmert.
Jetzt, da die Welt mit einer neuen Pandemie zu kämpfen hat und sich dabei größtenteils schwer tut, droht uns allen die Gefahr einer katastrophalen globalen Erwärmung ebenso wie ein weltweites Versagen der Demokratie. Vielleicht können wir heute bessere Entscheidungen treffen als die Politiker und Eliten von 1914 und ihre Millionen begeisterter Anhänger. Doch es fällt manchmal schwer, dabei immer optimistisch zu bleiben.
(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des australischen Ökonomen John Quiggin)