Alternative Wirtschaftstheorie – Teil 10: Bargeldbedarf, Bankenliquidität und der Zentralbankzins

Nachdem wir im letzten Beitrag die Prinzipien der freien Zinsbildung kennengelernt haben, soll es nun um die Auswirkungen einer Veränderung des Bedarfs an baren Zahlungsmitteln auf die Inanspruchnahme des Bankensystems und demnach auch der Notenbank gehen.

Euro coins and banknotes

Nach Wilhelm Lautenbach hat die Veränderung der Beanspruchung sowohl der Banken als auch der Zentralbank durch die Zunahme oder Abnahme der Bargeldnachfrage hauptsächlich nur technische Bedeutung, wenn sie auf folgenden Gründen basiert:

1. Änderungen in der Kassenhaltung
Diese treten immer dann auf, wenn Private oder Unternehmer mehr Bargeld bei gleichbleibenden Umsätzen und Einnahmen/Einkommen in ihren „Kassen“ zurückhalten. Dazu zählt auch das Geld „im Strumpf“ oder auch „unter dem Kopfkissen“. Eine solche Veränderung kann wirtschaftlich rational und damit durchaus gerechtfertigt erscheinen, wenn man Nachteile und Unbequemlichkeiten einer „knappen“ Kasse vermeiden will.

Eine erhöhte Kassenhaltung kann aber auch unnatürlich sein, und damit ein Anzeichen des Mißtrauens gegenüber der ökonomischen Situation oder dem Bankensystem sein.
Lautenbach propagiert bei diesem Problem folgende Lösung:

Die gegebene Therapie dieses sozialen Übels ist bekanntlich: «zahlen, zahlen, zahlen!»

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 65

2. Änderung der Zahlungssitten
Dies tritt ein, wenn sich z. B. Zahlungstermine oder die Lohn- und Gehaltsperioden verändern. Früher geschah das beispielsweise dadurch, dass der Wochenlohn in eine 14tägige Gehaltszahlung umgewandelt wurde und sich damit der Geldbedarf erhöhte.

Würden dagegen die Zahlungstermine so verschoben, dass die Monatsgehälter für die eine Hälfte der Arbeitnehmer z. B. zur Monatsmitte, für die andere aber am Monatsende gezahlt würden, so würde sich der Bargeldbedarf verringern.
Veränderungen in dieser Art sind aber eher selten und halten sich daher auch meistens in einem sehr bescheidenden Rahmen.

Sehr viel stärker können dagegen Abweichungen durch eine Ausdehnung des bargeldlosen Zahlungs- verkehrs oder im entgegengesetzten Fall der Verringerung des unbaren Verkehrs auftreten. Dabei ist der Ausbau des bargeldlosen Zahlungsverkehrs eine völlig unbedenkliche normale Entwicklung, während die Abkehr in der Regel aufgrund außergewöhnlicher pathologischer Wirtschaftsentwicklungen wie z. B. dem Schwarzhandel hervorgerufen wird.

Natürlich sollten solche annormalen Entwicklungen bekämpft werden, allerdings hielt Lautenbach eine Restriktion oder Drosselung der Geldnotenausgabe für ein untaugliches Mittel mit äußerst schädlichen Folgen.

Weitere wirtschaftspolitische Ursachen
Außer diesen technisch begründeten Veränderungen des Bargeldbedarfs existieren auch noch andere, ökonomisch bedingte Gründe:
Hierbei geht es vor allem um die Zunahme oder Verringerung der gesamtwirtschaftlichen Lohnsummen aufgrund der Entwicklung der Beschäftigtenzahl und/oder der Höhe der Lohn- und Gehaltssätze.

Nach Lautenbach gilt es als selbstverständlich, dass nur technisch bedingte Liquiditätsveränderungen nicht schon an sich eine Korrektur des Zinses rechtfertigen.
Zwar könne die Notenbank durch ihre Offenmarktpolitik auf den Marktzins in bestimmter Weise einwirken, sie dürfe aber nie ihre Zinspolitik von Veränderungen des Bargeldbedarfs abhängig machen, die sie selbst nicht beeinflussen kann.

Sie könne immer, wenn mehr Zahlungsmittel in bar nachgefragt werden, dieses Verlangen durch erhöhte Notenausgabe decken. Dies sei auch notwendig um eine Kredit- und Bankenkrise zu verhindern.
Ferner dürfe sie die Banknotenausgabe auch nicht bremsen, soweit es neben der höheren Nachfrage keine anderen Gründe gibt, die eine Zinserhöhung legitimieren würden.

Selbst wenn der gestiegene Zahlungsmittelbedarf ökonomisch bedingt ist (durch erhöhte Lohnzahlungen oder Zunahme der Beschäftigung), muss eine Zinsanpassung nach oben nicht zwangsläufig erfolgen, da der Rückgang der Arbeitslosigkeit wirtschaftlich ja durchaus wünschenswert und letztlich Ziel der Geldpolitik der Zentralbank sein sollte.

Ebenso kann auch die Erhöhung der Löhne durchaus statthaft sein, wenn sie der Entwicklung der Produktivität folgt und die Preise daher nicht steigen.

Genau dies besagt übrigens die heutige goldene Lohnregel: die Rate des nominalen Stundenlohnwachstums soll gleich der Rate des Stundenproduktivitätszuwachses plus der Zielinflationsrate sein. Wird diese eingehalten, so wird der Produktivitätszuwachs möglichst gerecht auf die Gesamtbevölkerung verteilt und ein Eingreifen der Zentralbank mittels „Zinskeule“ ist nicht notwendig.

Zur Nichteinhaltung dieser Regel zeigte der Ökonom Lautenbach geradezu beängstigende prophetische Gaben und schrieb weiter:

Wenn die Lohnsteigerung gesamtwirtschaftlich verfehlt ist, so trifft die Verantwortung die für die Lohnpolitik zuständigen Stellen und es wäre ein Schildbürgerstreich, eine a priori verfehlte Lohnpolitik a posteriori durch die Banken korrigieren zu wollen.
Denn diese Korrektur wäre eine Eisenbartkur, sie erzwingt die Heilung durch Einschränkung der Produktion und Arbeitslosigkeit.

Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 67

Ist dagegen die erhöhte Nachfrage nach Bargeld nicht durch eine Steigerung der Lohnsätze erzwungen, sondern durch eine Zunahme der gesamten Lohnsumme bei gleichbleibenden Gehältern und damit also einer Ausweitung der Beschäftigung geschuldet, so sei es keineswegs klar, dass dieser Abbau der Arbeitslosigkeit wirtschaftlich heikel wäre.

Der niedrige Zinssatz rege ja zudem auch die Investitionen an.
Damit aber sei in der Regel ebenso eine Ausdehnung der Verbrauchsgüterproduktion verbunden, welche die Beschäftigung und die Produktion um ein mehrfaches des Arbeitseinsatzes und der getätigten Investitionen steigen ließe.

Womöglich könnte eine Reduzierung des Bargeldbedarfs durch ein Verringern der Kredite buchstäblich inflationäre Folgen haben und damit die kompensatorische Erweiterung der Verbrauchsindustrie verhindern, die zur Schaffung des ökonomischen Gleichgewichts und des ausgewogenen Verhältnisses zwischen Investition und Verbrauchsgüterproduktion notwendig wäre.

Im nächsten Beitrag geht es dann um die Auswirkungen von Effekten(Wertpapier)-Käufen auf die Entwicklung der Bankenliquidität.