ZEIT-Artikel: Mythos Weltmarkt

Es geschehen doch noch manchmal Zeichen und Wunder:

Mark Schieritz hat in einem bemerkenswerten Artikel in der Wochenzeitung DIE ZEIT die Phrase der „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit“, die momentan ja gerade in Europa und natürlich schon seit längerem auch in Deutschland ökonomisch offenbar in aller Munde ist, kritisch hinterfragt.

Es ist schon erstaunlich, wie lange es gedauert hat, bis dieses Thema auch in der ZEIT einmal in dieser Deutlichkeit angesprochen wird. Andere waren schon viel früher soweit.

Bereits 2005 schrieb die Hans-Böckler-Stiftung dazu:

Die deutsche Lohnzurückhaltung hat die Exporte beflügelt und die Binnenwirtschaft geschwächt. Tun die anderen Europäer es den Deutschen gleich, droht ganz Euroland ein realer Abwertungswettlauf, der letztlich in eine Deflation münden könnte…

Auch Heiner Flassbeck hat auf den Artikel von Schieritz in seinem Blog Flassbeck Economics kurz reagiert.

Er weist ebenfalls darauf hin, dass die Argumentation von Mark Schieritz von ihm und seinem Team (u. a. vor allem Friederike Spiecker) schon seit langem vertreten wird. Weiter vermutet Flassbeck, dass es dabei hauptsächlich um eine Verwechselung von “Wett­be­werbs­fä­hig­keit” und “Pro­duk­ti­vi­tät” geht.

Interessant sind auch die vielen Diskussionsbeiträge im ZEIT-Forum zu diesem Artikel, die u. a. „ganz begeistert die Rückkehr der Vernunft“ feiern und das Zitat von Schieritz „Nicht die Wettbewerbsfähigkeit, sondern die Produktivität bestimmt die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft“ betonen.

Es fehlt auch dort nicht der berechtigte Hinweis, „dass Wettbewerbsfähigkeit auf Basis niedriger Lohnkosten nichts anderes kann als eine Spirale nach unten anzutreiben – denn jedes Land muss nachziehen, wenn ein anderes seine Wettbewerbsfähigkeit auf Basis der Lohnkosten verbessert hat.“

Besser als der ZEIT-User „WolfHai“ kann man die Problematik eigentlich nicht zusammenfassen:

Frau Merkel (und viele mit ihr) verwechselt Wettbewerbsfähigkeit mit Produktivität.

– Wettbeswerbsfähigkeit ist die Fähigkeit, die eigenen Waren trotz der Konkurrenz anderer zu verkaufen. Es ist ein *relatives* Konzept: die überragende Wettbewerbsfähigkeit eines Landes bedeutet automatisch die fehlende Wettbewerbsfähigkeit eines anderen. Wenn einer seine Wettbewerbsfähigkeit erhöht, dann sinkt die eines anderen.
– Produktivität misst, wieviel mit gleichem Input (etwa: einer Stunde Arbeit) an Wert produziert wird. Es ist ein absolutes Konzept: Alle Länder können ihre Produktivität erhöhen.

Es folgt:
1. Wer produktiver wird, wird nicht automatisch wettbewerbsfähiger. Die Produktivitätserhöhung wird oft durch Lohnerhöhungen und/oder Aufwertungen wettgemacht.
2. Es können alle produktiver werden, aber es können nicht alle wettbewerbsfähiger werden. Durch Lohnsenkungen wird man nur bei festen Wechselkursen wettbewerbsfähiger; bei flexiblen Wechselkursen gleicht eine Aufwertung dies aus.
3. Die ganze Eurozone kann wegen der flexiblen Wechselkurse des Euro zu Drittwährungen nicht wettbewerbsfähiger werden. Wenn Frau Merkel dies propagiert, weiß sie nicht wovon sie redet. (Die Eurozone ist insgesamt sehr wohl „wettbewerbsfähig“, wie man an der leicht aktiven Leistungsbillanz ablesen kann.)
4. Innerhalb der Eurozone müssen die Krisenländer Wettbewerbsfähigkeit gewinnen, damit sie sich nicht immer weiter verschulden. D.h. dass Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit verlieren muss.

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Bliebe nur noch die Hoffnung, dass auch Frau Merkel und ihr Kabinett sowie ihre wirtschaftspolitischen Berater diesen Text mal zu lesen bekämen.