Wie Ungleichheit zu industriellem Feudalismus führt

In einer Gesellschaft, in der der Besitz von Vermögenswerten unglaublich ungleich verteilt ist, nimmt die soziale Mobilität stark ab.

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Feudalismus: Leistung von Abgaben an den Grundherren

Wir leben in einer Zeit wachsender Ungleichheit und Unsicherheit über zukünftigen Wohlstand sowie Angst um Beschäftigung und berufliche Aufstiegsmöglichkeiten.

Das Konzept des industriellen Feudalismus ist eine bemerkenswerte Art zu verstehen, wie diese Situation entsteht, obwohl uns mehr Wahlmöglichkeiten für die Verbraucher geboten und die Märkte liberalisiert werden.

Der industrielle Feudalismus entsteht, wenn die Industriegesellschaft in relativ geschlossene soziale Klassen geschichtet ist, die in Bezug auf ihr Eigentum oder ihre Berufe definiert sind. Tatsächlich verliert diese Gesellschaft die wirtschaftliche und soziale Dynamik, mit der der Kapitalismus die erblichen Hierarchien des Feudalismus gestürzt hat.

Das Konzept und die Analyse des industriellen Feudalismus tauchten in den polnischen marxistischen Diskussionen der 1890er Jahre in Bezug auf die soziale und wirtschaftliche Hegemonie großer Industriekonzerne auf.

In unserem neuen Arbeitspapier erweitern wir diese Idee bis heute, indem wir zeigen, wie sich soziale Klassen durch die Zusammensetzung ihres Eigentums unterscheiden. Wenn die Verteilung des Reichtums ungleicher wird, eliminieren dieses Eigentum und die damit verbundenen Kreditpraktiken die soziale Mobilität und schaffen dadurch den industriellen Feudalismus neu.

Die Idee des industriellen Feudalismus wurde vom polnischen Soziologen Ludwik Krzywicki (1859-1941) als Folge von Industriekartellen eingeführt, die in der Lage waren ihre Märkte und ihre Gewinnmargen auf Kosten der wirtschaftlichen und sozialen Stagnation und der abnehmenden Chancen für Innovation und sozialen Aufstieg zu stabilisieren.

Zu Krzywickis enthusiastischsten Bewunderern gehörte der Ökonom Oskar Lange (1904-1965). Lange kritisierte Roosevelts New Deal und keynesianische Interventionen, indem er argumentierte, dass eine solche Politik die Monopolstellungen bestimmter kapitalistischer Gruppen unterstütze. In dieser Situation hört der Gewinn des Unternehmers auf, die Belohnung für die Risikobereitschaft und die effiziente Minimierung der Kosten zu sein.

Es wird einfach zu einem Privileg, das sich aus der wirtschaftlichen Konzentration und der staatlichen Garantie dafür ergibt. Der Finanz- und Industriefeudalismus, so dachte er sei nun ein System genau definierter Gruppenprivilegien, das auf soziale Schichten aufgeteilt sei, die so starr seien wie keine anderen im Mittelalter.

In einer solchen Gesellschaft verschwinden die Anreize zum Fortschritt. Mehr noch, eine solche Gesellschaft würde den kulturellen und politischen Überbau des Feudalismus mit jeder Art von Diskriminierung, Intoleranz, Fanatismus und Perspektivlosigkeit wiederbeleben, wobei die Staatsbürokratie in die Oligarchie der Haute Finance und des Großkapitals integriert wäre. Der Keynesianismus müsse seiner Ansicht nach an eine progressive Kartellagenda und Vollbeschäftigung geknüpft werden.

Der industrielle Feudalismus von Krzywicki und Lange betrachtete das Unternehmertum als Quelle sozialer Mobilität. Während sich der Spielraum für Unternehmertum und der Zugang zu Finanzmitteln eindeutig auf die Starrheit industrieller Hierarchien auswirkt, unterscheiden sich soziale Hierarchien durch das Eigentum an allgemeineren Vermögenskategorien, die industrielles Kapital einschließen können, aber auch aus Haushaltsvermögen bestehen können, das vererbt werden kann.

Das konzentrierte Eigentum sowohl an industriellem als auch an nicht-industriellem Eigentum macht die Verteilung des Reichtums zu einem Faktor in den gegenwärtigen Tendenzen zu einem industriellen Feudalismus, in dem die Unterschiede zwischen den sozialen Schichten durch das Fehlen sozialer Mobilität verstärkt werden.

Weltweit folgte die Vermögensungleichheit nach dem Höchststand in den frühen 1910er Jahren bis in die späten 1970er Jahre einem Abwärtstrend und steigt seit Mitte der 1980er Jahre jedoch wieder stetig an. Im Gegensatz zu den Einkommen war die Vermögens-ungleichheit in vielen Ländern von der globalen Finanzkrise 2007 weitgehend unberührt und erreichte Ende der 2010er Jahre einen neuen Höhepunkt.

Die steigende Vermögensungleichheit ist nicht auf fortgeschrittene kapitalistische Volkswirtschaften wie Großbritannien oder die USA beschränkt. Mit zunehmender Offenheit für kapitalistische Produktionsformen ist die Vermögensungleichheit in den Transformationsländern in Mittel- und Osteuropa sowie in China dramatisch gestiegen.

Die bestehende Literatur über die Quellen von Wohlstandsunterschieden untersucht nicht die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Ungleichheiten auf das Funktionieren und die Entwicklung des Kapitalismus. In unserem Arbeitspapier entwickeln wir einen neuen theoretischen Rahmen, um die Mechanismen der Vermögensungleichheit mit verminderten Aussichten auf soziale Mobilität zu verknüpfen, die den industriellen Feudalismus in der Neuzeit wiederherstellen.

Verschiedene soziale Klassen besitzen unterschiedliche Arten von Reichtum. Die Renditen für Eigentümer in verschiedenen Klassen unterscheiden sich also, ebenso wie die mit diesem Vermögen verbundenen Kreditpraktiken. Der fehlende Zugang zu allen Arten von Reichtum verhindert die Aufwärtsmobilität, aber der Besitz eines bestimmten Reichtums (der auch beliehen werden kann) hilft, die Abwärtsmobilität der eigentumsbesitzenden Klassen zu vermeiden.

Soziale Klassen werden daher sowohl durch ihren Besitz von Reichtum als auch durch ihr Einkommen definiert. In jeder Klasse gibt es ein Standard-Vermögensportfolio, das ein Haushalt besitzen muss um seine Position in dieser Klasse zu halten. Für jede Klasse gibt es eine Untergrenze, die verhindert, dass ein Haushalt in einer bestimmten Klasse aufgrund eines Einkommensausfalls deklassiert wird.

Diese setzen sich aus den Kreditpraktiken zusammen, die Haushalte anwenden um zu verhindern, dass sie in die Vermögensklasse unterhalb ihrer Klasse fallen. Aber für jede Klasse gibt es auch eine Obergrenze, die aus der Wertdifferenz zwischen dem Standardvermögensportfolio dieser Klasse und dem der nächsten Klasse in der Vermögenshierarchie besteht.

Vermögensunterschiede, die sich aus der Entwicklung der Vermögensmärkte ergeben, sind durch sich ändernde makroökonomische Bedingungen und nicht durch individuelle Merkmale der privaten Haushalte geprägt, die ihre Sparfähigkeit und ihre Anlageentscheidungen beeinflussen.

Der Fall der Subprime-Krise in den USA unterstreicht die Rolle, die sich verändernde makroökonomische Bedingungen und Operationen des Finanzsektors bei der Bestimmung der sozialen Mobilität spielen, indem sie sich sowohl auf den Zugang zu als auch auf die Stabilität von Wohlstand auswirken. Obwohl zweifellos wichtig, ist das Sparen nur ein Weg mit dem Haushalte Reichtum anhäufen und sich auf der sozialen Leiter bewegen.

Die Zusammensetzung des Vermögens in Bezug auf den Zugang zu verschiedenen Arten von Vermögenswerten sowie die Hebelwirkung ist entscheidend für das Verständnis der zunehmend ungleichen Verteilung des Vermögens aufgrund der Unterschiede bei den Kapitalgewinnen, die einem Haushalt zur Verfügung stehen. Daher haben Unterschiede in der Preissteigerung für verschiedene Vermögenswerte einen erheblichen Einfluss auf die Vermögensungleichheit.

Die Ober- und Untergrenzen, die Haushalte in ihren sozialen Klassen halten, werden auch durch die Sozialpolitik der Regierungen beeinflusst. Wohlfahrtsstaatliche Angebote, qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen und Maßnahmen zur Sicherung der Vollbeschäftigung stärken die Grenzen, um den Abstieg aus dem sozialen Klassenstatus zu verhindern.

Bereits seit den 1980er Jahren folgten Veränderungen in der öffentlichen Politik zunehmend der Finanzlogik und spiegelten die Interessen des Finanzsektors wider, wobei der Staat öffentliche Dienstleistungen in handelbare finanzielle Vermögenswerte verwandelte, die Rendite abwerfen.

In diesem Sinne ist der Staat, ähnlich wie von Lange beobachtet in den zeitgenössischen kapitalistischen Volkswirtschaften zu einem Instrument bestimmter Klassen von Kapitalisten geworden, insbesondere von Rentiers und Großunternehmern.

Durch die Einschränkung der Vermögensakkumulationskapazitäten für einige bei gleichzeitiger Förderung der Vermögenskonzentration für andere hat der Staat aktiv zu steigenden Vermögensungleichheiten und eingeschränkter sozialer Mobilität beigetragen.

Die Kürzung der Sozialleistungen seit den 1980er Jahren fiel mit der Inflation der Vermögenspreise zusammen. In den Vereinigten Staaten, Großbritannien und zahlreichen anderen Ländern, in denen Wohnimmobilienmärkte entstanden, wurde der Wohnungs-markt für Notfallkredite und Cashflow zur Zahlung von Schulgebühren und für private medizinische Versorgung herangezogen.

Dies hat die eigentumsbesitzende Mittelschicht von einem Wohlfahrtsstaat entfremdet, für den diese Klasse zahlt, aber den sie nicht benötigt, weil sie Cashflow aus Eigentum generieren kann.

Steigende Vermögenspreise erzeugen eine ungleichere Verteilung des Vermögens, indem sie den Wert des Vermögens erhöhen, welches erworben werden muss um eine Position in der nächsten Vermögensklasse zu sichern. Gleichzeitig verstärken die wachsenden Kreditmöglichkeiten steigender Vermögenswerte die Untergrenze und verhindern eine Degradierung in eine niedrigere soziale Schicht.

Angesichts der Preisschwankungen von Vermögenswerten spielen die Vielfalt und Stabilität des Vermögensportfolios sowie die mit solchen Portfolios verbundenen Kreditpraktiken somit eine entscheidende Rolle sowohl bei den Aufwärts- als auch bei den Abwärtsbewegungen zwischen den Klassen.

Diese Vermögensabhängigkeit ist spezifisch für bestimmte Klassen, da sie unterschiedliche Arten von Vermögenswerten haben. Verschiedene Arten von Vermögenswerten haben unterschiedliche Kreditauswirkungen und damit verbundene Praktiken, und diese unterschiedlichen Kreditauswirkungen und -praktiken können die Cashflows in bestimmten Klassen erleichtern um soziale Abwärtsmobilität zu verhindern.

Aber die zunehmende Vermögensungleichheit erschwert die soziale Aufwärtsmobilität. Auf diese Weise schränken Vermögensinflation und wachsende Vermögensungleichheiten die soziale Mobilität ein und führen zu industriellem Feudalismus.

(Eigene Übersetzung eines Beitrages des Institute for New Economic Thinking)