Schalke 04: Die Psychologie des frühen Tores?

Keine zehn Minuten war die Begegnung zwischen dem FC Schalke 04 und dem FSV Mainz alt, da rappelte es bereits das erste Mal im Kasten von Loris Karius. Wie aus dem Nichts hatte der Gelsenkirchener Goalgetter Klaas-Jan Huntelaar den Mainzer Keeper mit einem cleveren Heber überwunden, assistiert vom blendend aufgelegten Eric-Maxim Choupo-Moting.

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Und das, obwohl die Rheinhessen bis dahin gar nicht mal schlecht gespielt hatten, nur der richtige Zugriff auf die beiden Schalker Angriffsspitzen gelang ihnen offenbar nicht.

Lag es daran, dass S04-Trainer Roberto Di Matteo wieder, ganz im Gegensatz zum unsäglichen Chelsea-Spiel, auf die 5-3-2-Formation zurückgegriffen hatte? Schon nach der Begegnung gegen den VFL Wolfsburg hatte ich ja bereits meinen Eindruck kundgetan, dass mir Choupo-Moting als zweiter Stürmer effektiver erscheint, als wenn er an der Außenlinie rauf und runter rennen muss.

Diesmal also Huntelaar: drei Tore gelangen dem holländischen Nationalstürmer gegen Mainz, während er in den letzten Begegnungen im traditionellen 4-2-3-1 als alleinige Spitze immer wieder wirkungslos in der Luft hing. Und auch Choupo-Moting erwies sich im neuen System als wieder torgefährlicher und spielstärker.

Doch ist es wirklich nur die neue Taktik, die den Unterschied macht zwischen Desaster und neuer Hoffnung? Ganz so einfach würde ich es mir da nicht machen, schließlich haben die Schalker auch vorher schon Spiele noch mit dem alten System gewonnen.

Beim Vergleich zwischen Chelsea und Mainz fällt stattdessen als Erstes der Zeitpunkt der beiden frühen Tore auf. Während das 0:1 gegen die Engländer bereits fiel, als die Schalker fast noch in der Kabine hockten, sorgte der erste Huntelaar-Streich bereits nach neun Minuten für klare Verhältnisse gegen die Mainzer.

Offensichtlich war der ultrafrühe Rückstand gegen Chelsea ein psychologischer Nackenschlag, der durch die Umstände bei den beiden anderen Gegentreffern (Fehler von Ralf Fährmann und Eigentor von Jan Kirchhoff) noch verstärkt, zu einem erheblichen Mangel an Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten führte.

Man konnte die Verunsicherung der Spieler förmlich bis ins eigene Wohnzimmer spüren, die ohnehin nur klitzekleine Chance auf einen Erfolg gegen die Millionentruppe von Jose Mourinho schien wie eine Seifenblase geplatzt zu sein. Die eigenen Ansprüche und die grausame Wirklichkeit lasteten wie Backsteine an den Beinen der Akteure und viele von ihnen kamen damit klar erkennbar nicht zurecht.

Eines der schlechtesten Spiele der letzten Jahre und ein fluchtartiges Davonstürmen der Zuschauer aus der Veltins-Arena waren die Folge einer Überforderung der Mannschaft durch eigene Fehler und Unzulänglichkeiten von Anfang an.

Ganz anders gegen den FSV Mainz: Eiskalt und hoch effektiv waren die Schalker immer dann zur Stelle, wenn der Gegner sich gerade wieder etwas berappelt hatte und seinerseits gefährlich werden wollte. Natürlich profitierten sie dabei enorm von Huntelaars Geniestreich aus der neunten Minute, der Mainz schon nach kurzer Zeit in Zugzwang brachte, wenn die Mannschaft von Trainer Kasper Hjulmand noch etwas Zählbares aus Gelsenkirchen mitnehmen wollte.

Auch nach dem Pausentee gelang es den Schalkern erneut, mit dem ersten Angriff mitten in die Mainzer Druckphase den alten Zwei-Tore-Vorsprung wiederherzustellen. Der überraschende Treffer von Tranquillo Barnetta zeigte Wirkung: die vorher druckvollen Angriffe der Rheinhessen wurden nun immer weniger zwingend und nicht mehr so zielstrebig. Mit dem 4:1 schließlich sorgte wieder Huntelaar für die endgültige Entscheidung.

Auch gegen den VfL Wolfsburg hatten die Blau-Weißen von frühen Toren enorm profitieren können. Immerhin reichten die beiden Siege nun für 20 Punkte und den sechsten Tabellenrang in der Bundesliga, während in der Champions League noch das große Zittern um den Einzug ins Achtelfinale angesagt ist.

Was aber war nun der „echte“ FC Schalke 04? Der gegen Chelsea oder der gegen Wolfsburg und Mainz? Oder doch eher beide?

Fakt ist auf jeden Fall, dass der Kopf bei den Gelsenkirchenern eine gewichtige Rolle mitspielt. Liegt man gegen eine europäische Spitzenmannschaft bereits innerhalb kürzester Zeit zurück, so hat das eine desaströse Auswirkung auf das Nervenkostüm der ganzen Mannschaft. Sie erscheint nicht gefestigt genug, um dann noch einmal den Hebel umzulegen und erstarrt stattdessen wie das Kaninchen vor der Schlange.

In der Bundesliga dagegen wirken frühzeitige eigene Erfolgserlebnisse wie Balsam auf der Schalker Seele. Woran das letztlich liegt, ist allerdings eher schwer festzustellen. Sicherlich spielt auch der Trainerwechsel mitten in der Saison eine gewichtige Rolle. Roberto Di Matteo unterscheidet sich in Auftreten und Arbeitsweise stark von seinem Vorgänger Jens Keller. Doch auch er hat den Stein der Weisen bei den Knappen noch nicht wirklich gefunden, obwohl die Systemumstellung auf ein 5-3-2 möglicherweise schon die richtige Richtung aufzeigen könnte.

Doch ein anderer Faktor hat wohl noch sehr viel mehr Einfluss auf die Psyche der Spieler. Damit ist die nicht enden wollende Verletzungsserie gemeint. Wie in der letzten Saison fehlt dem S04 ständig eine ganze Reihe von Akteuren nach Operationen, durch Erkrankungen und diverse Verletzungen.

Zuletzt gesellten sich nach Joel Matip und Kaan Ayhan auch Kevin-Prince Boateng und wieder einmal Felipe Santana dazu, während Jefferson Farfan, Sead Kolasinac, Leon Goretzka, Fabian Giefer, Sidney Sam, Chinedu Obasi und Julian Draxler sowieso noch längerfristig fehlen.

So liegt eine gesamte Elf in Gelsenkirchen „auf Eis“ und zwingt zusätzlich auch immer wieder zu Veränderungen in der Startaufstellung. Die Rückrunde in der letzten Saison hat zwar gezeigt, dass so ein „letztes“ Aufgebot durchaus auch zu erstaunlichen Leistungen in der Lage sein kann, doch ist das nicht unbedingt die Regel.

Wahrscheinlicher scheint eher der gegenteilige Effekt zu sein, dass eine solche Verletzungsserie, die die Mannschaft bereits seit der Vorbereitung begleitet, für enorme Verunsicherung sorgen kann, vor allem, wenn immer wieder andere Spieler ausfallen. So entscheidet dann nicht taktisches Kalkül oder individuelle Leistungsbereitschaft sondern schlicht die körperliche Gesundheit darüber, wen Di Matteo überhaupt noch aufstellen kann.

Damit stehen regelmäßig auch nicht die besten Spieler auf dem Platz, sondern lediglich die, die überhaupt noch fit sind. Und wenn sich dann die wenigen gestandenen Akteure auf der Ersatzbank nicht aufdrängen, wird eine Auswahl nach Leistung endgültig ad absurdum geführt.

Wohlgemerkt, all das hier Geschriebene kann ein Ansatz sein, die stark schwankenden Auftritte der Schalker Profis in den letzten Wochen zu erklären, entschuldigen kann man sie damit aber nur zum Teil. Jeder moderne Fußballer sollte heute genügend Eigenverantwortung für sich übernehmen können und so zumindest in der Lage sein, mangelnde Form über Einsatzbereitschaft zu kompensieren. Gehen wir also davon aus, dass die Blauen die Zeichen der Zeit erkannt haben und das Chelsea-Spiel in Zukunft eine Ausnahme bleiben wird.

Denn trotz allem sind die Saisonziele noch immer erreichbar: Rang 6 in der Bundesliga bedeutet nur ein paar Pünktchen bis zu den Champions-League-Plätzen, und das Endspiel um das Überleben in der Königsklasse steht noch unmittelbar bevor. Mit einem Sieg in Maribor und einem zu erwartenden Chelsea-Erfolg gegen Sporting Lissabon wäre auch das noch möglich.

Somit kann man beim FC Schalke 04 momentan nicht wirklich von einer Krise sprechen. Der Weg zum Erreichen der selbst vorgegebenen Ziele mag zwischenzeitlich arg holprig sein, das Weiterkommen in der Champions League nur noch mit fremder Hilfe möglich sein, doch wer eine richtige Misere erleben will, der muss schon weiter östlich zu unserem „heiß geliebten“ schwarz-gelben Revierrivalen schauen.

Noch ein paar Worte zum nächsten Spiel: Stuttgart wartet, mit einem neuen Trainer und einem Sieg im Gepäck. Seit fünf Jahren gab es keinen Auswärtserfolg mehr bei den Schwaben, bei zuletzt vier Niederlagen in Folge. Alles andere als einfach also, da muss man den Namen des neuen Übungsleiters eigentlich gar nicht mehr wissen: Huub Stevens.