Rolltreppe abwärts: der Weg in die nächste Knappen-Krise?

Eigentlich konnte ich es nicht fassen, was sich da letzten Samstag auf meinem TV-Bildschirm abspielte: eine chancenlose, uninspirierte und lustlos wirkende Schalker Mannschaft ließ sich ausgerechnet im Ruhrgebiets- derby gnadenlos vorführen.

Signal Iduna Park 2013 by-RaBoe 02

0:3 Tore (es hätten aber auch locker 0:6 oder noch mehr sein können, und kein Gelsenkirchener hätte sich darüber beschweren dürfen), 3:31 Torschüsse, wieder nur 35 % Ballbesitz, ein Klassenunterschied wie zwischen Bezirks- und Bundesliga.

Ich glaube nicht, dass es überhaupt schon mal ein solch einseitiges Derby zwischen diesen beiden Vereinen gegeben hat. Von Anfang an zeigten die Schalker einen erschreckenden Mangel an Willen und Möglichkeiten, außer einem 0:0 überhaupt etwas Zählbares aus dem Signal Iduna Park mitnehmen zu wollen.

Die inzwischen schon übliche Defensivtaktik mit dem 5-3-2 ging dabei fürchterlich daneben, weil (fast) sämtliche Akteure gefühlt meilenweit von ihren Gegenspielern entfernt blieben, dem BVB damit unglaublich viel Raum anboten und auch ansonsten nicht bereit waren, in den sonst gegen die Dortmunder notwendigen Derby-Modus zu schalten.

Symptomatisch für das Schalker Spiel war das Auftreten von Kevin-Prince Boateng, an dem sowohl sämtliche blau-weißen wie auch schwarz-gelben Aktionen anscheinend viel zu schnell vorbeirauschten. Für die Leistung, die er Samstag anbot, hätte er eigentlich zwingend zur Halbzeit rausgemusst. So etwas kann man vielleicht in der italienischen „Operetten“-Liga bringen, für einen Top-Star und „Führungsspieler“ eines Bundesligisten war das absolut indiskutabel.

Boateng trug meines Erachtens mit die Hauptschuld daran, dass aus dem Mittelfeld nahezu nichts für den eigenen Spielaufbau kam, er hat stattdessen wieder einmal bewiesen, dass er momentan auf der 10er-Position eine absolute Fehlbesetzung darstellt. Warum er anstelle von Max Meyer überhaupt so lange auf dem Platz sein durfte, ist eines von vielen Rätseln, denen sich Schalkes Coach Roberto Di Matteo nach dieser Begegnung stellen muss.

Aber er ist natürlich nicht allein verantwortlich für das Trauerspiel, welches die Blauen in Dortmund ablieferten. Roman Neustädter offenbart sich als Ersatzlösung auf der zentralen Innenverteidigerposition immer mehr als echter Missgriff; Spieler wie die verletzten Matip und Kirchhof, die mehr können als jeden Ball auf die Tribüne zu dreschen, wurden Samstag schmerzlich vermisst.

Halbwegs Normalform erreichten in der Defensive lediglich Benedikt Höwedes und mit Abstrichen Matija Nastasic, gegen den Angriffswirbel der Dortmunder um die überragenden Kagawa und Reus waren sie allerdings alleine auch machtlos und gingen nach dem ersten Tor mit unter.

Neben Boateng gingen auch Dennis Aogo und Marco Höger im Mittelfeld nur selten auf Derby-Betriebstemperatur, während Christian Fuchs links unbarmherzig wechselseitig von Kirch, Mkhitaryan oder Aubameyang die immer enger werdenden Grenzen aufgezeigt wurden. Ebenso sah Atsuto Uchida auf der anderen Außenbahn von Marco Reus des öfteren nur die Hacken, beim 2:0 durch den Armenier Mkhitaryan war er ebenfalls zu spät.

Völlig in der Luft hingen die beiden Stürmer Huntelaar und Choupo-Moting, die bei den wenigen Pässen aus dem Mittelfeld allerdings auch recht hilflos wirkten. Beide laufen zur Zeit eindeutig ihrer Form hinterher, Choupo scheint seit dem Afrikacup überspielt und bräuchte dringend eine Pause, während der „Hunter“ angesichts der immer rarer werdenden Zuspiele in die Spitze zunehmend frustriert und lustlos auftritt.

Pechvogel des Tages war dagegen Keeper Timon Wellenreuther, der zwar bei einigen hohen Bällen unsicher wirkte, aber ansonsten mit seinen Paraden überhaupt erst dafür sorgte, dass es bis zur 78. Minute noch 0:0 stand. Dass er sich den dritten Treffer des BVB quasi selber ins Netz legte, ist halt seiner Unerfahrenheit zuzuschreiben. Derartige Böcke sind auch schon sehr viel erfahreneren Schlussmännern unterlaufen.

Auch die inzwischen geradezu beispielslose Verletztenmisere kann nur bedingt als Ausrede für dieses würdelose Auftreten der Schalker herhalten. Immerhin standen in Dortmund bis auf den Torhüter allesamt erfahrene Bundesliga- und teilweise sogar Nationalspieler auf dem Platz, deren Ansprüche eigentlich wesentlich höher sein sollten.

Und natürlich kann man auch Trainer Di Matteo nicht aus der Kritik nehmen. Sicherlich wird er seinen Profis nicht verboten haben, auf das Dortmunder Tor zu schießen, doch seine Untätigkeit trotz der totalen Unterlegenheit in der ersten Halbzeit lässt zumindest annehmen, dass das 0:0 bis dahin offenbar noch seinen Planungen entsprach.

Wäre er mit dem Auftreten seiner Mannschaft nicht zufrieden gewesen, so hätte eigentlich zum Pausentee ein kräftiger Weckruf wie etwa ein Doppelwechsel Mayer-Barnetta für beispielsweise Boateng-Aogo erfolgen müssen. So aber vermittelte er den Spielern und auch allen anderen Betrachtern den Anschein, dass sein Defensiv-Konzept bis dahin offenbar aufgegangen sei.

Doch die letzten vier Spiele zeigen nun eine gefährliche Entwicklung auf: nur ein Punkt, 1:7 Tore, und die Anzahl der Torchancen ging geradezu dramatisch zurück. Es scheint so, als würde Di Matteos Beton-Mischmaschine anfangen zu stottern und das Schalker Abwehr-Bollwerk erheblich bröckeln. Offenbar stehen Mannschaft und Trainer nun an einem Scheideweg, nur mit bedingungsloser Defensive a la Catenaccio allein dürfte in der Bundesliga kein Blumentopf mehr zu gewinnen sein.

Es wird Zeit, das System den modernen Bedürfnissen erfolgreichen Fußballs anzupassen, was bedeutet, wieder mehr Beachtung auf die Vorwärtsbewegung zu richten. Der eigentlich schon etwas überstrapaziert wirkende Begriff des „Umschaltspiels“ weist da die Richtung. Von di Matteo ist damit ein Umdenken einzufordern, weg vom reinen Maurermeister zu einem Übungsleiter mit einem weitreichenderen taktischen Konzept. Sollte sich der Schweizer dieser Aufgabe allerdings verweigern, so dürften schwierige Zeiten auf ihn zukommen.

Spinnt man diesen Gedanken aber noch weiter, so erscheint plötzlich auch die Tatsache, dass Di Matteo beim FC Chelsea nur ein halbes Jahr nach dem Champions-League-Gewinn von 2012 schon wieder entlassen wurde, in einem anderen Licht. Offenbar war er damals noch nicht so weit, seine taktische Ausrichtung entscheidend zu ändern.

Es wäre ihm (und natürlich dem Verein und seinen Fans) zu wünschen, dass dies nun bei den Knappen besser gelingt. Nur so kann offenbar noch verhindert werden, dass das deutlich vernehmbare Stottern im Antriebsmotor der Schalker zu einem brachialen Totalschaden und der Weg auf der Rolltreppe Bundesliga weiter abwärts führt.

Krise, wir kommen (wieder einmal)? Noch haben Mannschaft und Trainer die Mittel in der Hand, um es nicht soweit kommen zu lassen. Sie müssen sie nur richtig einsetzen…