Die Flüchtlinge und die Ökonomie: Lehren aus der Geschichte

Was können wir aus den vietnamesischen, kubanischen, ruandischen und syrischen Flüchtlingskrisen lernen?

Migrants in Hungary 2015 Aug 014
Flüchtlinge am ungarischen Grenzzaun zu Serbien im August 2015

Als syrische Flüchtlinge begannen den europäischen Kontinent zu erreichen, dominierten Diskussionen über den „Zustrom von Zuwanderern“ die Medien, mit sehr wenig Aufmerksamkeit für die eigentliche Krise der Flüchtlinge anstelle der oft kolportierten „Flüchtlingskrise.“

Einige zitierten nationale Sicherheitsbedenken, um ein Schließen der Grenzen angesichts der verzweifelten Flüchtlinge zu rechtfertigen, während andere unter Berufung auf ökonomische Gründe behaupteten: „Wir können es uns gar nicht leisten, unsere Grenzen zu öffnen“.

Hier soll nun keineswegs näher auf moralistische Argumente über unsere ethische Verantwortung Flüchtlinge aufzunehmen eingegangen werden (da diejenigen, die aufgrund wirtschaftlicher Zwänge eine Begrenzung der Asylbewerber zu rechtfertigen suchen, wahrscheinlich eher nicht mit einer moralischen Argumentation zu überzeugen sind). Vielmehr soll es in diesem Beitrag über die Ökonomie der Flüchtlinge im Allgemeinen gehen, wobei der Schwerpunkt auf die Syrer als Fallstudie liegt.

Obwohl die syrische Flüchtlingskrise die schlimmste seit dem Zweiten Weltkrieg darstellt, ist die Geschichte voll von Beispielen, in denen die Menschen ihr Leben auf Booten auf der Suche nach Frieden und Sicherheit aufs Spiel gesetzt haben. Zum Glück haben die Ökonomen eine Handvoll dieser Beispiele untersucht.

Nachdem in Saigon das prowestliche Regime im Jahr 1976 fiel, siedelten die Vereinigten Staaten mehr als eine halbe Million vietnamesischer „boat people“ an, die die gefährliche Reise von den vietnamesischen Küsten auf sich genommen hatten.

Die Amerikaner waren, genau wie heute, besorgt darüber, dass diese Flüchtlinge nur die Vorteile des Systems der sozialen Sicherheit in den Vereinigten Staaten für sich in Anspruch nehmen würden. Dass sie nur „nehmen, aber nicht geben“ würden.

Heute ist dagegen die Arbeitslosenrate unter den vietnamesischen US-Bürgern, die zumeist in der zweiten Generation von Flüchtlingen abstammen, geringer als die nationale Erwerbslosenquote und die Einkommen der amerikanischen Vietnamesen höher als die der durchschnittlichen Amerikaner.

Im Mai 1980, als die kubanische Wirtschaftsleistung aufgrund verstärkter Spannungen zwischen Fidel Castro und der Regierung der Vereinigten Staaten drastisch zurückging, kamen 125.000 kubanische Flüchtlinge auf kleinen Booten nach Miami. Dieser Zustrom von Flüchtlingen erhöhte Miamis Arbeitnehmerschaft um etwa 7 Prozent.

Dennoch konnten Ökonomen dadurch praktisch keine Veränderung für die Löhne oder die Arbeitslosenquote in Miami feststellen. Die Flüchtlinge und Migranten hatten nicht nur das Arbeitskräfteangebot vergrößert, sondern gleichzeitig auch die Kundenbasis gesteigert.

Nach dem 28. April 1994, als der Völkermord in Ruanda durch den Absturz eines Flugzeugs ausgelöst wurde, welches den damaligen Präsidenten von Ruanda und Burundi transportierte, migrierte etwa eine halbe Million Menschen innerhalb einer Woche nach Tansania. Wirtschaftswissenschaftler, die die Auswirkungen dieser Flut von Flüchtlingen untersuchten, stellten fest, dass sie für das Gastgeberland Tansania keine negative Folgen hatte.

Ganz im Gegensatz sorgte sie sogar für einen zusätzlichen wirtschaftlichen Nutzen durch den Zustrom des Geldes, welches die lokale Ökonomie mit diesen Flüchtlingen und ihren Ersparnissen erreichte. Die Forscher nahmen ebenso zur Kenntnis, dass, wenn eine ausreichende Masse von Flüchtlingen in ein Land kommt, sich aufgrund der Ausweitung der aggregierten Nachfrage neue Wirtschaftszweige zu entwickeln beginnen.

Heute, mit der Instabilität in Syrien, ist der Libanon einem ähnlichen Zustrom ausgesetzt. Durch die Unterbringung von rund 2 Millionen Syrern besteht die Bevölkerung des Libanon nun zu 25 Prozent aus Flüchtlingen. Um es noch schlimmer werden zu lassen, führte der syrische Konflikt auch zu einem starken Rückgang beim Tourismus, einer der führenden libanesischen Industrien. Doch trotz all dieser Turbulenzen schätzt die Weltbank, dass der Libanon um 2,5% im Jahr 2016 wachsen wird, die höchsten Wachstumsrate des Landes seit 2010.

Jordanien, heute Gastgeber von fast einer Million syrischer Flüchtlinge, ist ebenso auf dem Weg zum Wachstum. Nach Angaben des IWF soll die jordanische Wirtschaft um 2,6% zunehmen. Das gleiche gilt für die Türkei, auf deren Staatsgebiet sich mehr als 2 Millionen syrische Flüchtlinge aufhalten. Der stellvertretende Direktor der türkischen Zentralbank berichtete, dass die Löhne und die Beschäftigung steigen würden, da mehr Flüchtlinge in das Land einreisten.

Auch die Europäische Kommission prognostizierte, dass die syrischen Flüchtlinge der europäischen Wirtschaft einen Nettogewinn von einem Viertel Prozent im Jahr 2016 als Folge der erhöhten Staatsausgaben bringen werden (nach verschiedenen Prognosen soll Deutschland bis zu $ 20 Mill. Dollar im Jahr 2016 für die Flüchtlinge aufwenden). Ein Viertel Prozent wirtschaftlichen Nettogewinns mag nun nicht gerade nach sehr viel klingen; doch zumindest sollen die syrischen Flüchtlinge das Wachstum in Europa steigern anstatt es zu behindern, wie ansonsten allgemein angenommen wird. Es erscheint daher als ein potentieller Indikator dafür, dass Europa durch die Aufnahme von noch mehr Flüchtlingen profitieren könnte.

Die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen von Flüchtlingen, ob es sich nun um Vietnamesen, Kubaner, Ruander oder Syrer handelt, sind nicht weiter verwunderlich. Es handelt sich dabei schlicht und einfach um Keynesianismus. Flüchtlinge zu integrieren erhöht die Staatsausgaben und erweitert damit die Gesamtnachfrage. Anders als bei den meisten moralischen Auswahlmöglichkeiten sollte die zur Aufnahme von syrischen Flüchtlinge heute eine einfach zu akzeptierende sein, einerseits erfüllen wir damit unsere rechtschaffenden Verpflichtungen und anderseits dient es auch unserem wirtschaftlichen Interesse.

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des Meinungsforschers und ehemaligen palästinensischen Flüchtlings Abdul Alasaad)