Der Freihandel geht davon aus, dass Arbeiter, die auf die eine Weise ihren Job verlieren auf einem anderen Gebiet wieder beschäftigt werden können. Sobald diese Verbindung aber unterbrochen ist, zerbricht auch das gesamte Freihandels-argument.
(J. M. Keynes, Aussage vor dem Macmillan-Ausschuss für Finanzen und Industrie, 1930)
Protest in Brüssel gegen die TTIP– und CETA-Freihandelsabkommen
…In diesem Kontext bezieht sich Globalisierung auf die Öffnung der heimischen Märkte und die Integration der globalen Produktion über multinationale Konzerne (MNCs).
Im Großen und Ganzen heißt das, dass die Weltwirtschaft sich in Richtung „einer Nation“ oder einer „tiefen (nicht nur flachen) Integration“ bewegt, bei der Nationalstaaten keinen größeren Einfluss mehr auf Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Finanz-, Ideen- und Migrantenströme über Grenzen hinweg haben als South Dakota oder die anderen US-Staaten.
Seit den achtziger Jahren haben die Anführer westlicher Staaten – darunter auch die Aktionäre und Top-Führungskräfte von MNCs – zugestimmt, dass Staaten allein oder kooperierend (in Freihandelsabkommen und in zwischenstaatlichen Organisationen wie der Weltbank, dem IWF, der Welthandelsorganisation WTO, der Europäischen Union) sich für immer mehr Globalisierung, mehr „Marktzugang“ für ihre Unternehmen und weniger staatliche „Intervention“ oder „Regulierung“ auf den Märkten einsetzen sollten.
Hier dazu Martin Wolf von der Financial Times, einer der weltweit einflussreichsten Wirtschaftskommentatoren:
„Es kann nicht sinnvoll sein, die Weltwirtschaft noch mehr zu zersplittern als sie es bereits ist, sondern vielmehr die Weltwirtschaft so arbeiten zu lassen, als wäre sie die Vereinigten Staaten oder zumindest die Europäische Union… Das Problem unserer Welt besteht nicht aus zu viel Globalisierung, sondern eher aus zu wenig. Das Potenzial für eine stärkere wirtschaftliche Integration ist dagegen kaum erschlossen … Sozialdemokraten, klassische Liberale und demokratische Konservative sollten sich vereinen, um die liberale Weltwirtschaft zu verbessern und gegen ihre Feinde zu schützen, die sowohl außerhalb als auch innerhalb ihrer Tore auftauchen.“ [1]
Hier Renato Ruggiero, ehemaliger Chef der WTO:
„Handelsintegration ist nicht nur ein Rezept für Wachstum, sondern auch für Sicherheit und Frieden, wie die Geschichte gezeigt hat.“
(Hervorhebung hinzugefügt)
Hier die WTO selbst auf ihrer Website: die globale Integration unter der Aufsicht der WTO und ihres Vorgängers GATT
„war einer der größten Beiträge zum Wirtschaftswachstum und zur Entlastung der Armen in der Geschichte der Menschheit.“
(Hervorhebung hinzugefügt)
Schließlich noch die Weltbank zusammenfassend über andere Forschungsergebnisse, mit denen sie übereinstimmt:
„Die Offenheit für den internationalen Handel, die auf weitgehend neutralen Anreizen basierte, war der entscheidende Faktor für das schnelle Wachstum in Ostasien.“ (Hervorhebung hinzugefügt) [2]
Die Strukturanpassungen durch die Kredite der Weltbank in den 80er Jahren führten zu mehr Handelsliberalisierungen als jede andere politische Maßnahme. Die Bank behandelte die Liberalisierung des Handels als die Königin der Politik und nicht nur als eine unter vielen, weil die Freihandelspolitik die Schäden aller anderen staatlichen Interventionen auf den Märkten einschränken werde. [3]
Die Financial Times pfefferte ihre Leitartikel über den Handelsschutz mit negativen Adjektiven wie „merkantilistisch“ und „populistisch“ auf und betonte, dass jedes Land von der Adoption der Freihandelspolitik profitieren würde, auch wenn andere es nicht tun – denn Protektionismus bedeute, Felsbrocken in den eigenen Hafen zu werfen.
Offenbar begünstige das kollektive Interesse eines Landes und der Welt immer den freien Handel, weil der freie Handel die Größe des Kuchens maximiere. Nur selbstsüchtige „Interessen“ wollen Schutz, um mehr von dem Kuchen für sich selbst zu bekommen, mit unvermeidlichen Mehrkosten für die Gesellschaft.
Eine gewichtige Stimme im Business kam von Percy Barnevik als CEO der schwedisch-schweizerischen multinationalen Asea Brown Boveri (ABB):
„Ich würde die Globalisierung als die Freiheit meiner Gruppe definieren, zu investieren wo und solange sie es wünscht, zu produzieren, was sie will, indem sie kauft und verkauft, wo immer sie es möchte … bei der Produktion mit so wenig Arbeitsschutzgesetzen und Einschränkungen durch soziale Konventionen wie möglich.“ [4]
Und zuletzt Bernard Arnault, im Jahr 2000 als CEO der französischen Luxusgruppe LVMH und der 10.-reichsten Person auf der Erde:
„Unternehmen, vor allem internationale, besitzen immer größere Ressourcen, und in Europa haben sie die Fähigkeit erworben, mit Staaten zu konkurrieren … Die wirklichen Auswirkungen der Politik auf das Wirtschaftsleben eines Landes sind mehr und mehr begrenzt. Glücklicherweise.“ [5]
Diese Aussagen verdeutlichen die Tendenz der Globalisierungsgewinner, „alle guten Dinge“ der Handels- und der Investitionsintegration zuzuordnen, einschließlich (1) der globalen Armutsbekämpfung in noch nie dagewesenem Maßstab, (2) Ostasiens bemerkenswertem Wirtschaftsaufstieg und (3) globalem Frieden und Sicherheit.
Obwohl sie Kausalität suggerieren, sind diese Aussagen nicht darauf ausgelegt, einen Evidenztest zu bestehen. Ihre Aufgabe ist es lediglich, eine Identität zu behaupten: dass der Sprecher oder die Organisation Mitglied der globalen Elite ist, die gerne möchte, dass sich Kapital, Güter und Dienstleistungen als das entscheidende Merkmal der gewünschten Globalisierung weltweit zwischen Standorten und Sektoren frei bewegen können. Was für diese elitäre Schicht gut ist, soll auch für die gesamte Menschheit und die Biosphäre gut sein.
Implizit oder explizit sollen diese Ansprüche die Bedeutung des „politisch Machbaren“ und den Wert der Solidaritätsverpflichtungen, die in die Idee der „Nation“ eingebettet sind, herunterspielen und das von Keynes geprägte Motto der Vollbeschäftigung ignorieren. Die Behauptungen sollten im Lichte der Beobachtungen von Daniel Kahneman verstanden werden: „Erklärungen mit großer Zuversicht erzählen vor allem davon, dass ein Individuum eine kohärente Geschichte in seinem Kopf aufgebaut hat, nicht unbedingt aber davon, dass diese Geschichte auch wahr ist“.
Anmerkungen:
[1] M. Wolf, 2004, Why Globalization Works, Yale University Press, S. 4.
[2] World Bank, 1993, The East Asian Miracle: Economic Growth and Public Policy, S. 292.
[3] World Bank, 1989, Strengthening trade policy Reform, Washington DC.
[4] Zitiert in J. Gelinas, 2003, Juggernaut Politics: Understanding Predatory Capitalism, Zed Books, S. 21.
[5] B. Arnault, zitiert in Serge Halimi, 2013, Tyranny of the One Percent, Le Monde Diplomatique (Englisch).
(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des neuseeländischen Ökonomen Robert Wade)