Being Jan Ullrich: die Geschichte eines gefallenen Helden

Es war der gefühlt heißeste Sommer aller Zeiten. Der Asphalt schien zu glühen, der Schweiß floss in Strömen. Nachts konnte man vor lauter Hitze nicht in den Schlaf finden.

Jan Ullrich Gaillac
Unvergessen: Jan Ullrich bei der Tour de France 2003

Und in Frankreich machte sich unter diesen unsäglichen Bedingungen ein deutscher Radrennfahrer auf, den bis dahin unbesiegbar erscheinenden Tour-de-France-Dominator Lance Armstrong noch einmal herauszufordern.

2003 – diesen Sommer werde ich wohl niemals vergessen. Ein gewisser Jan Ulrich im celestefarbenen Trikot des Bianchi-Rennstalls brachte den damals schon vierfachen Toursieger an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeiten – trotz Dopings.

Nur in diesem Jahr, so Armstrong später, habe er tatsächlich gedacht, dass er den Gesamtsieg verlieren könne, so stark erschien ihm Jan Ullrich damals. Nun gibt es das alles und noch mehr aus der Karriere des größten und so tief gefallenen deutschen Radsport-Helden in einer Doku in der Mediathek der ARD und morgen auch im Fernsehen.

Als Anlass dieser ungewöhnlichen Würdigung eines doch ziemlich umstrittenen Sportlers wurde natürlich dessen größter Erfolg gewählt, der Tour-Sieg von 1997, ein für Radsport-Deutschland geradezu historisches Ereignis, hatte doch bis dahin noch kein Deutscher dieses schwerste Radrennen der Welt für sich entscheiden können.

Vor 25 Jahren also gerieten die Landsmänner und -frauen des gebürtigen Rostockers völlig aus dem Häuschen, ein Taumel der Begeisterung ergriff alle deutschen Radsport-fans, als Ullrich in Gelb über die Champs-Élysées in Paris rollte.

Meine Erinnerung an Jan Ullrich setzte allerdings erst später ein. 1997 war ich noch nicht im Radsportfieber, stattdessen dominierten damals der FC Schalke 04 und seine Eurofighter meine Sportwelt. Erst 2001, im Rückblick kann ich eigentlich gar nicht mehr so genau sagen warum, erlag ich dem besonderen Reiz der Tour und den Radrennen, ausgerechnet während der Dominanz eines gewissen Lance Armstrong.

Auch die Tour 2001 ruft heute noch immer gewisse Bilder hervor, die ich wahrscheinlich niemals vergessen werde. Allen voran der berühmte „Look“, den Armstrong seinem Telekom-Rivalen am Anstieg nach Alpe d’Huez zuwarf, ehe er ihn in der dramatischen Schlussphase einfach stehen ließ.

Nach einem ersten „Pillen-Exzess“ und alkoholbedingtem nächtlichen Autounfall 2002 erfolgte im Jahr darauf das bereits oben angeführte Drama in der Hitze jenes besonderen Sommers. Ullrich besiegte Armstrong im Einzelzeitfahren auf der 12. Etappe nach Cap’Découverte. Radsport-Deutschland hoffte auf eine Wiederholung des Triumphes von 97.

Es folgten epische Etappen in den Pyrenäen mit einem Sturz von Lance Armstrong und der Entscheidung von Jan Ullrich, dieses Malheur nicht für seinen Vorteil auszunutzen und auf den Amerikaner zu warten. Endgültig verloren war die Rundfahrt dann im letzten Zeitfahren, als der Deutsche im strömenden Regen von Nantes an einem Kreisverkehr ebenfalls zu Fall kam und seinen Angriff auf Armstrong abbrechen musste.

Doch nicht nur sportliche Höhepunkte und Tragödien prägten die Ära Jan Ullrich. Sie ist zudem für immer untrennbar mit dem vielleicht größten Verlust an Glaubwürdigkeit und Fairness im Profisport verbunden: dem Doping.

2006 platzte auch für Ullrich die Bombe und das jahrlange Versteckspiel hatte ein Ende. Als in Spanien ein ehemaliger Frauenarzt namens Eufemiano Fuentes festgenommen wurde, begann der offenbar unaufhaltsame Abstieg eines deutschen Tour-Heldens.

Aber machen wir uns doch nichts vor: sicherlich kann man das systematische Doping damals verdammen und sich angewidert von diesem Sport und seinen Protagonisten abwenden. Letztlich habe ich das auch getan, wenn auch neben dem Doping auch noch aus anderen Gründen.

Doch aus heutiger Sicht gehört Doping nun einmal dazu zu dieser besonderen Epoche des Radsports. Sie ist sogar untrennbar verbunden damit, denn es ist einfach nicht vorstellbar, dass sie mit anderen Protagonisten irgendwie anders verlaufen wäre. In dieser Zeit Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre musste man einfach nachhelfen, wenn man die großen Radrennen wie die Tour tatsächlich gewinnen wollte.

Ob nun der Festina-Skandal 1998, das systematische Doping des USPostal-Rennstalls, die Cofidis-Affäre, die Ermittlungen gegen Fuentes oder das Team Telekom und seine Verbindungen zur Uni Freiburg, in der damaligen Zeit war so ziemlich jeder bedeutende Radprofi irgendwann einmal gedopt. Es gab keine Tests, um EPO- oder Blutdoping tatsächlich zuverlässig nachweisen zu können, zudem waren auch die verschiedenen Instanzen dieses Sports wenig an Aufklärung interessiert.

Im Rückblick muss ich das einfach so sehen, und so bedingt das Doping dieser Zeit ein noch mehr an Dramatik und Fiasko und macht aus einem schon nicht einfachen Sportlerleben eine geradezu klassische Tragödie.

Jan Ullrich, Lance Armstrong, das Doping und ihre umjubelten aber auch umstrittenen Radrennen werden immer ihren Platz in der Sportgeschichte finden, auf die eine oder andere Art. Auch in meinem Leben nehmen sie noch immer einen wichtigen Rang ein, ob ich es nun will oder nicht. Und nein, ich werde mich auch nicht mehr rechtfertigen dafür, es ist einfach so, Punkt.

Doch zurück zu dieser Doku, die mich aufgrund der besonderen Geschichte dahinter und meinen Verbindungen dazu besonders anrührte und mir immer wieder eine Gänsehaut verpasste.

Es ist alles drin, von den Kindheits- und Jugendjahren in Rostock ohne Vater über erste Erfolge wie die Straßen-Weltmeisterschaft der Amateure 1993, den legendären Triumph in Frankreich 97, die vergeblichen Duelle mit Armstrong, Olympiasieg in Sydney und den langen Abstieg nach der Fuentes-Affäre.

Viele ehemalige Weggefährten wie seine Trainer Peter Sager und Peter Becker, die Baldinger-Brüder, Rolf Aldag, Udo Bölts, Rudy Pevenage, aber auch Journalisten wie Hagen Bossdorf und Hajo Seppelt kommen zu Wort, und nicht nur positiv.

Am meisten beeindruckt hat mich aber Lance Armstrong, der in der Regel ja auf seinen fast krankhaften Ehrgeiz und enormen Egoismus reduziert wird. Ausgerechnet er war einer der wenigen, der auch lange nach seiner aktiven Karriere Jan Ullrich in seinen dunkelsten Stunden nach Burnout, Drogen- und Alkoholmissbrauch zur Seite stand.

Wem also der Name Jan Ullrich und sein legendärer Tour-Triumph vor 25 Jahren noch irgendetwas bedeutet, dem sei diese Dokumentation wärmstens ans Herz gelegt, denn es lohnt sich.

Die Geschichte eines gefallenen Helden, ausgebreitet wie eine griechische Tragödie, von den Anfängen über die großen Erfolge, die vergebenen Mühen und die tiefsten Abgründe bis in die Gegenwart, das ganze Auf und Ab mit Gänsehautgarantie.