Die Einschränkungen des neoklassischen Grenzproduktes am Beispiel des Abstiegs des FC Schalke 04

Der vierte Abstieg meines Lieblingsklubs Schalke 04 in die 2. Bundesliga war im Sommer 2021 nicht nur ein sportliches und finanzielles Desaster, sondern auch ein Lehrstück über die (Nicht-)Funktionsweise der Mainstream-Ökonomie.

Schalke 04 Fans 677
Knappen-Fans in der Veltins-Arena

So beispielsweise bezogen auf die Idee, dass die Löhne und Gehälter immer dem Grenz-produkt der Arbeit entsprechen würden.

Wie es sich für einen Sport- und Ökonomieblog gehört, habe ich diese volkswirtschaftliche Thematik anhand des Beispiels „Abstieg FC Schalke 04“ versucht näher zu erläutern und verständlicher zu machen.

Die Gehaltssumme von Schalke war in der Saison 2017/2018 die vierthöchste in der Bundesliga. Drei Jahre später dürfte sich daran nicht wesentlich viel geändert haben.

Dieser Unterschied spiegelte sich jedoch in ihrem Grenzprodukt nicht wieder. Und in der Tat saßen die Knappen nach jahrelanger Mißwirtschaft nun auch noch auf einem riesigen Schuldenberg.

Das unterstreicht eine oft unterschätzte Differenzierung: Die Menschen werden häufig nicht gemäß ihrer tatsächlichen Grenzproduktivität entlohnt, sondern aufgrund des erwarteten Grenzproduktes.

Schalke zahlte etwa Nabil Bentaleb 5 Millionen Euro pro Jahr und einem Sammelsurium von teuren Legionären ähnliche Summen, weil von ihnen erwartet wurde, dass sie den Verein wieder in das internationale Geschäft bringen sollten. Solche Erwartungen erwiesen sich aber angesichts des Abgangs in die Zweitklassigkeit als absolut fern jeder Realität.

Dies ist allerdings auch kein wirklich ungewöhnliches Beispiel. Über ganze Berufssparten hinweg können Löhne überhöht sein, weil das erwartete Grenzprodukt das tatsächliche Grenzprodukt übertrifft. Fondsmanager beispielweise wurden und werden Millionen für mittelmäßige Leistungen bezahlt, weil leichtgläubige Anleger ihre Fähigkeiten über-schätzen, den Markt zu schlagen.

Vermutlich gilt ähnliches für die Konzernchefs: die Ideologie des Managertums verleitet Vergütungsausschüsse dazu, das Ausmaß zu überschätzen, mit dem ein heroischer Führer das Unternehmen tatsächlich verbessern kann, und ihnen so zu viel zu bezahlen.

Wenn Bosse gemäß ihrem tatsächlichen Grenzprodukt bezahlt würden, hätten Fred Goodwin oder Richard Fuld (als letzter Vorsitzender von Lehman Brothers) eher Gehälter im Minus-Bereich erhalten müssen. Doch die bekamen sie nicht.

Darüber hinaus gibt es noch mindestens drei weitere Gründe, warum die Bezahlung vom Grenzprodukt abweichen kann, vor allem am oberen Ende der Gehaltsskala.

Erstens wird der „Wert“ einer Arbeit oft nicht nur durch die individuelle Produktion bestimmt, sondern durch die eines ganzen Teams, was es wiederum erschwert, ein individuelles Grenzprodukt zu identifizieren. Wie etwa Lars Syll feststellte (pdf):

Es ist unmöglich, den Grenzbeitrag eines einzelnen Produktions-faktors herauszufinden. Die hypothetische Ceteris-paribus– Ergänzung nur eines Faktors zu einem Produktionsprozess wird oft in Lehrbüchern vertreten, kommt aber in der Wirklichkeit so nie vor.

So könnte beispielsweise der gleiche Manager einem Unternehmen einen höheren Wert hinzufügen oder auch nicht, abhängig (pdf) davon, ob seine Fähigkeiten ein gutes Geschäft für diese Organisationen sind oder nicht.

Dies könnte dazu führen, dass der gezahlte Lohn die Grenzproduktivität übersteigt, da der oben genannte Einschätzungsfehler bei den Einstellenden zu einer Überschätzung der Beiträge Einzelner und zum Unterschätzen organisatorischer Faktoren verleitet – wie etwa bei den Schalkern geschehen, als mit viel Geld teure Spieler gekauft wurden in der irrigen Hoffnung, aus ihnen eine Mannschaft zu formen, die mit dem Abstieg natürlich nichts zu tun haben würde.

Zweitens können Löhne das Grenzprodukt in Effizienzlohn-Situationen überschreiten, in denen die Arbeitnehmer dafür bestochen oder gekauft werden müssen, Vermögenswerte der Unternehmen nicht zu stehlen. Dies erklärt etwa, warum Banker so gut bezahlt werden. Für CEOs liegt eine ähnliche Vermutung nahe.

Drittens ist es auch eine Frage von Macht. Dani Rodrik hatte beispielsweise nachgewiesen, dass trotz vergleichbarer Produktivität Arbeiter in Demokratien besser bezahlt werden, weil diese mit stärkeren Arbeitnehmerrechten verbunden sind.

Im gleichen Sinne haben Ökonomen des IWF schon vor Jahren gezeigt, dass die Gehälter der CEOs niedriger ausfallen, wenn Gewerkschaften stärker sind.

Dies alles zusammen bestätigte ein Argument von Joe Stiglitz – demnach die Beweise für die Gültigkeit der Grenzproduktivitätstheorie vor allem am oberen Ende „recht dürftig ausfallen“.

Nun könnte man einwenden, dass einige der hier angeführten Beispiele nicht ganz ausgewogen sind: Fred Goodwin besaß seinen Job nicht sehr lange, und die Aussichten der S04-Spieler waren nach dem Abstieg auch nicht besonders positiv.

Doch alle Theorien treffen immer grundsätzlich zu, wenn man die Ausnahmen ignoriert. Das Leben findet in einem ständigen Ungleichgewicht statt, und ein paar Jahre von ungeheuerlichen Abweichungen vom Grenzprodukt können große Ungleichheiten erzeugen.

Es könnte daher sein, dass die Theorie vom Grenzprodukt eher mehr reiner Ideologie als echter Wissenschaft entspricht.

(Eigene Übersetzung und Erweiterung eines Blogbeitrages des britischen Ökonomen Chris Dillow)