Ein wichtiges Beispiel der Nutzung der saldenmechanischen Grundsätze und Zusammenhänge als hilfreiche Erklärungsform ist die Antwort auf die Frage, wie eigentlich unser Geld entsteht.
Bilanzbilder zu Kreditgewährungen (Hans Gestrich 1936/2016)
Obwohl die Frage der Geldschöpfung eines der zentralen Themen moderner Ökonomie darstellt, ranken sich weiterhin viele Mythen, Halbwahrheiten und glatte Lügen um die Entstehung des Geldes.
„Banken schaffen Geld aus dem Nichts“, „Die Banken bereichern sich unkontrolliert an dem selbst geschöpften Geld“ und „Die Banken dürfen unbegrenzt Geld schöpfen“ sind noch die gängigsten Thesen, wenn es um das Mysterium „Geldschöpfung“ geht.
Offenbar gibt es die eine oder andere Interessengruppe, die die Unwissenheit vieler ausnutzen, um gezielt oder weil sie es selbst nicht besser wissen, die Verwirrungen um diesen Begriff für ihren eigenen Vorteil auszunutzen.
Dabei ist es mit ein wenig Interesse und Nachdenken recht leicht zu erkennen, dass der Ökonom Wolfgang Stützel bereits in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Hilfe des von ihm entwickelten Modells der volkswirtschaftlichen Saldenmechanik eine plausible Erklärung dieses Themas abgeliefert hatte.
In seinem Buch “Volkswirtschaftliche Saldenmechanik” Mohr, Tübingen 1978 (Nachdr. der 2. Aufl., 2011, Mohr Siebeck) erläutert Stützel, dass die Beziehungen in unserem gegenwärtigen Geldwesen in zwei verschiedene Ebenen aufzuteilen seien: Diejenige der „Geldvermögensumschichtungen“ und diejenige der „Zahlungsmittelumschichtungen“.
Zunächst gilt es daher, definitionsgemäß die beiden realen Erscheinungsformen des Geldes zu spezifizieren, dabei handelt es sich um die Geldvermögen und die Zahlungsmittelbestände.
Da es um diese beiden Eigenschaften des Geldes doch immer wieder erhebliche Unklarheiten gibt, ist bei allen Veränderungen des „Geldstroms“ (siehe Wirtschafts-kreislauf) also grundsätzlich erforderlich, genau festzuhalten, ob es sich dabei um Geldvermögensströme (Veränderung der Geldvermögen) oder um Zahlungsströme (Veränderung der Zahlungsmittelbestände) handelt.
Bei allen Transaktionen, die das Geldvermögen verändern, handelt es sich immer entweder um Einnahmen oder um Ausgaben.
Im Unterschied dazu stehen die Zahlungs-Ein- und Ausgänge. Dabei geht es um die Veränderung von Zahlungsmittelbeständen und diese müssen daher in der Regel von den Variierungen der Geldvermögen strikt getrennt betrachtet werden.
Schon Stützel hat damals festgestellt, dass die Veränderung der Zahlungsmittelbestände von ganz anderen Beziehungen abhängt als die Veränderung der Geldvermögensbestände. Nur bei Barkauf und Barverkauf fallen rein zufällig (Vermögens)-Ausgaben und Zahlungsausgang sowie (Vermögens)-Einnahmen und Zahlungseingang zusammen.
Geldschöpfung = Schaffung von Zahlungsmitteln
Geldschöpfung aber ist immer nur eine Schaffung von Zahlungsmitteln, indem Geschäftsbanken Giralgeld (Buchgeld) als Kredite vergeben. Durch die Kreditvergabe selbst ändert sich an den Geldvermögen und Schulden in der Ökonomie erstmal noch überhaupt nichts. Der Kreditnehmer hat nämlich nun in der Höhe seiner aufgenommenen Schulden ein Guthaben auf dem Konto.
Erst in dem Moment, in dem der Schuldner mit dem Geld auf seinem Bankkonto einen Kauf vollzieht, haben wir saldenmechanisch einen Überschuss seiner Ausgaben über seine Einnahmen. Gesamtwirtschaftlich hat der Rest der Ökonomie nun einen Überschuss der Einnahmen über die Ausgaben und nur durch den Kaufakt selbst ist erst zusätzliches Geldvermögen entstanden (nicht durch die Geldschöpfung an sich!).
Wolfgang Stützel beschrieb diesen Vorgang in seinem o. g. Buch (S.64) 1958 so:
Allein durch eine inländische Zahlungsmittelvermehrung im Zuge einer Ausdehnung der Bankdepositen („Giralgeldschöpfung“) wird die Summe der Geldvermögen einer Volkswirtschaft ebenso wenig verändert wie etwa durch Kapitalimport oder Kapitalexport; denn die Größe der Geldver-mögen hängt sowohl einzelwirtschaftlich als auch volkswirtschaftlich ausschließlich von Leistungstransaktionen, aber nicht von reinen Finanztransaktionen ab.
Somit wird bei der Geldschöpfung (=Zahlungsmittelerzeugung) grundsätzlich von der Bank nur ein Kreditverhältnis erzeugt und schriftlich fixiert, welches immer mit Eigenkapital besichert sein muss. Das Kreditinstitut benötigt dafür einen Kreditnehmer mit Sicherheiten (realwirtschaftliche Leistungen, die pfandbesichert werden können).
Wichtig ist dabei, dass entgegen moderner ökonomischer Mythen dabei gerade kein „Geldvermögen aus dem Nichts“ erzeugt wird, weil der (realwirtschaftlichen) Leistungsschuld des Kreditnehmers der zusätzlich bankbesicherte (realwirtschaftliche) Leistungsanspruch des Geldvermögensbesitzers gegenüber steht.
Dementsprechend ensteht bei der Giralgeldschöpfung auch kein direktes Geldvermögen für die Bank, wie oft behauptet wird. Sie kann zwar ihre eigenen Sicherheiten bei einer anderen Bank hinterlegen oder gekaufte Wertpapiere bei der Zentralbank als Sicherheit für Zentralbankgeld einreichen, aber dabei wird nie unmittelbar und ohne Pfandhinter-legung ein Gewinn für die Bank selbst erzeugt!
Die wirkliche Problematik der Geldschöpfung
Das eigentliche volkswirtschaftlich relevante Problem bei der Geldschöpfung ist also nicht die sagenumwobene „Geldschöpfung aus dem Nichts“ und auch nicht die angeblich mögliche Selbstbereicherung der Banken durch diesen Akt der Zahlungsmittelerzeugung.
Hier hilft dann wieder die Saldenmechanik weiter:
Mag es einzelwirtschaftlich noch so sinnvoll sein, Sparpläne für jeden und alle zu fordern, staatlich zu unterstützen oder gar verordnen zu wollen, so führt diese Politik des „Sparens“ in ihrer Gesamtheit die Banken vor nahezu unlösbare Probleme, für all diese Forderungen nach Geldvermögen solvente Schuldner zu finden.
Gezwungenerweise müssen die Banken in einem solchen Fall bei der Zahlungsmittel-erzeugung eben auf weniger werthaltige Schulden ausweichen, um die Differenz zu den Kreditwünschen erfüllen zu können.
Dabei geraten sie dann logischerweise irgendwann in den Bereich der Spekulation, bei der es auf die Besicherungsfunktion der Zahlungsmittel und Geldvermögen durch die Banken nicht mehr so wirklich ankommt und in der Folge unwägbare Risiken für die Volkswirt-schaft erzeugt werden.
Dazu kommt dann noch der Fall, wenn wie momentan in Deutschland alle drei Sektoren der Volkswirtschaft, die privaten Haushalte, die Unternehmen und zusätzlich auch noch der Staat Geldvermögen sparen, wenn also die Neuverschuldungspläne unter die Summe aus Geldsparplänen und Kreditrückzahlungen fallen, dann läuft das über kurz oder lang auf eine sich selbst verstärkende Abwärtsentwicklung des gesamten Systems hinaus.
Mit der Einhaltung der Schuldenbremse sowie der Zurückhaltung der privaten Haushalte und der Unternehmen in der derzeitigen Krise wären diese Bedingungen wieder erfüllt, siehe Sparen und Investieren – Versuch einer Richtigstellung.