Wolfgang Schäuble ist jetzt weg, doch sein katastrophales Vermächtnis wird wohl fortgesetzt

Die Geschichte wird oft von einzelnen, sehr mächtigen Individuen gestaltet, die nach ihrer Berufung häufig ihre eigene Mission verfolgen. Viele dieser Individuen sind scheinbar immun gegen die Realität um sie herum und versuchen, ihre eigene Wirklichkeit zu erschaffen.

Wolfgang Schäuble - Campus for Finance 2011
Wolfgang Schäuble bei einer Rede auf der WHU New Years Conference 2011
des Campus for Finance

Manchmal gelingt es ihnen, das Wohlergehen der Menschen um sich herum und darüber hinaus voranzutreiben, aber meist verlassen sie die Hauptbühne, nachdem sie Chaos verursacht haben. Ich könnte da einige Namen nennen. Für den heutigen Blog ist aber nur ein einziger Name relevant – Wolfgang Schäuble, ehemaliger CDU-Bundesminister für Finanzen.

Schäuble trat nach den jüngsten deutschen Wahlen von dieser Rolle zurück und wird heute von der Mainstream-Presse als Visionär gefeiert, der die Eurozone durch sein diszipliniertes Denken und seinen Widerstand gegen populistische Ideen zusammen hielt, die ansonsten die Disziplin der Mitgliedstaaten gebrochen hätten. Die Geschichte erzählt uns aber etwas anderes. Er hat eine katastrophale Periode in der europäischen Geschichte überwacht, in der in den 1990er Jahren ein bedeutender Schritt in Richtung politischer und wirtschaftlicher Integration zu dysfunktionalen und divergierenden Ergebnissen für die Mitgliedstaaten führte.

Einige Länder (Griechenland) sind durch die von ihm verfochtene Politik ruiniert worden, während andere sich in ernsten Schwierigkeiten befinden. Tatsache ist, dass die Eurozone trotz ihrer Behauptung, dass die Währungsunion erfolgreich war, nur deshalb immer noch zusammen ist, weil die EZB seit Mai 2010 durch ihre verschiedenen quantitativen Lockerungsprogramme gegen die No-Bailout-Artikel des Vertrags von Lissabon verstoßen hat.

Hätte die EZB stattdessen das „Gesetz“ der Union eingehalten, dann wären zwischen 2010 und 2012 mehrere Staaten in die Insolvenz gezwungen worden. Das Problem aber ist, dass Schäuble zwar von der politischen Bühne verschwindet, sein katastrophales Erbe allerdings weitergeführt wird.

Er gab der Financial Times ein Interview (9. Oktober 2017) – Transcript: Wolfgang Schäuble verabschiedet sich von der Eurogruppe – in dem er über seinen Beitrag zur Eurogruppe, der zentralen wirtschaftspolitischen Einheit der Europäischen Kommission, reflektierte.

Es war ein unglaubliches Interview und bestätigt die Ansicht, dass die Ziele von Schäuble ganz andere sind als die derjenigen, die versuchen könnten, den allgemeinen Fortschritt des Wohlstandes zu fördern.

Er wurde gefragt, worauf er als Mitglied der Eurogruppe „am meisten stolz war“ und antwortete:

Ich bin sehr froh darüber, dass es uns gelungen ist…den Euro stabiler zu machen als viele es für möglich gehalten hätten…Ich denke, das zeigt, dass wir eine angemessene und erfolgreiche Politik verfolgt haben.

Es wird jedoch nicht erwähnt, dass der einzige Grund, weshalb die Eurozone nicht auseinandergebrochen ist, darin besteht, dass die EZB seit Mai 2010 durch ihre verschiedenen quantitativen Lockerungsprogramme gegen die No-Bailout-Artikel des Vertrags von Lissabon verstoßen hat.

Während die EZB behauptet, dass es sich bei diesen Geschäften lediglich um Liquiditätsoperationen handelte (Reserveerhaltung), ist die Realität ganz anders. Sie erwirbt möglicherweise nur Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, aber die Auswirkungen sind die gleichen, als wenn sie die Schulden nur in der primären Emissionsstufe kaufen würde.

So gesehen waren „wir“ keineswegs erfolgreich. Die Fortsetzung des Euro ist nur möglich, wenn die Zentralbank ständig geltendes Recht verletzt. Ohne diesen Bruch wäre zumindest für einige der Nationen (Italien und Spanien an erster Stelle) Schluss gewesen.

Zu seinem „Bedauern“, so sagte er weiter (unter anderem):

…Und natürlich war während der Eurokrise der Nebeneffekt, dass die EZB eine größere Rolle bei der Überwindung der Krise spielen musste, als es eigentlich wollte. Mario Draghi sagte immer, die EZB könne niemals das ersetzen, was die Mitgliedstaaten tun sollten. Solange die Mitgliedstaaten dies jedoch nicht tun, muss die EZB im Rahmen ihres eigenen begrenzten Mandats alles tun, was sie kann…

Anerkennung und gleichzeitig Verweigerung des vorherigen Punktes. Die EZB ist effektiv zum Währungsemittenten und Fiskalagenten für die Eurozone geworden, eine ganz andere Rolle, als die in ihrem „begrenzten Mandat“ eigentlich festgelegte.

Die Verleugnung geht aber noch weiter – so als wenn die EZB tatsächlich im Rahmen ihres „begrenzten Mandats“ tätig gewesen wäre. Sie hat ihre Rolle aber weit übertroffen und damit Artikel 125 des Vertrags von Lissabon verletzt.

Dies alles, nachdem Schäuble ein abschließendes 3-seitiges Non-paper for paving the way towards a Stability Union veröffentlicht hat – der Titel ist dabei ein glattes Märchen.

Schäubles „Non-Paper“ (was auch immer dieses Signal vermitteln soll) zeigt, warum Deutschland in der Eurozone nie eine breite Risikoteilungsstruktur akzeptieren wird, so wie sie der neue französische Präsident Emmanual Macron vorgeschlagen hat. Die Vision von Schäuble ist „business as usual“, mit einer noch stärkeren Durchsetzung auf zentraler Ebene.

Drei „Kernprinzipien“ werden vorgestellt:

(1) Wir müssen fiskalische Verantwortlichkeiten und Kontrolle zusammenhalten, um moralische Risiken zu vermeiden.

(2) Wir brauchen bessere Instrumente, um die Durchführung von Strukturreformen zu fördern.

(3) Wir brauchen glaubwürdige Stabilisierungsfunktionen, um mit globalen oder lokalen Schocks fertig zu werden.

In Bezug auf den ersten Grundsatz könnte man die Aussage nicht einfach so ablehnen, obwohl ich hinzufügen möchte, dass es ein drittes Element jenseits von „Verantwortung“ und „Kontrolle“ gibt, das erforderlich wäre um sicherzustellen, dass die Fiskalpolitik sowohl im Rahmen der die Demokratie funktioniert und zudem effektiv umgesetzt wird. Dieses dritte Element ist die Kapazität der Währungsemission.

Sie können keine effektive Fiskalpolitik betreiben, wenn Sie nur eine Kontrollfunktion erfüllen. Sie können auch keine demokratische Rechenschaftspflicht haben, wenn die Wähler die Entscheidungsträger nicht abwählen können. Aus diesem Grund ist die Eurozone effektiv dysfunktional und verlässt sich darauf, dass die EZB ihre eigenen Regeln für den Bestand der EU aufgibt.

Ein gut funktionierender Verband mit demokratischer Rechenschaftspflicht muss drei Gestaltungsprinzipien folgen:

1. Die Fiskalpolitik (Ausgaben und Steuern) sollte auf Bundesebene mit den Funktionen der Währungsausgabe (Zentralbank) abgestimmt werden. Dies bedeutet, dass die „Bundesregierung“ sicherstellen kann, dass asymmetrische Ausgabenschocks für die gesamte Union (das heißt differenziert für die „Regionen“ innerhalb des Bundes) durch entsprechende Fiskaltransfers abgeschwächt werden können.

2. Die Verwendung des Begriffs „Bundesregierung“ ist einschlägig – die Fiskalbehörde muss die Verantwortung übernehmen und unter der Kontrolle von gewählten Politikern stehen, nicht von unabhängigen Technokraten.

3. Die „Staaten“ innerhalb der Föderation können ihre eigenen fiskalischen Funktionen gemäß ihrer eigenen politischen Agenda haben, aber die föderale Ebene ist für das allgemeine Wohl des „Landes“ (der „Föderation“) verantwortlich. Es muss ein „bundesstaatliches“ Arrangement geben, um sicherzustellen, dass die Staaten den Bund nicht manipulieren, doch letztendlich muss die „Bundesregierung“ in einer Krise bereitstehen, um sicherzustellen, dass der Lebensstandard in allen Regionen weitgehend vergleichbar bleibt.

Wolfgang Schäubles Vision ist dagegen eine ganz Andere und erklärt somit auch, warum die Eurozone nie zu einem funktionalen Verband werden wird. In seinem „Non-Paper“ heißt es, dass es unter den Mitgliedstaaten „wenig Bereitschaft“ gibt, sich zu einer Föderation der oben genannten Art zu bewegen (in seinen Worten: „Übertragung von Teilen der nationalen Souveränität und Kontrolle der Haushaltsregeln auf die EU- Minister, zusammen mit einer größeren demokratischen Legitimität“).

Die Alternative?

Die Schaffung eines Europäischen Währungsfonds (EMF), der nur den bestehenden europäischen Stabilitätsmechanismus erweitern würde, „um vorübergehende finanzielle Unterstützung unter strengen Reformbedingungen zu gewähren“.

So ähnlich wie eine europäische Version des IWF – um eine Regierung liquide zu halten, aber nur unter dem gleichzeitigen Zwang, verbrannte Erde zu hinterlassen, wenn sie von einem negativen nichtstaatlichen Ausgabenschock getroffen wird. Mit anderen Worten, die Praxis der prozyklischen Fiskalpolitik (Kürzung der öffentlichen Nettoausgaben, wenn die Nicht-Staatsausgaben rückläufig sind) verschärfen, was den Gegensatz einer vernünftigen Steuerungspolitik darstellt.

Außerdem schreibt Schäuble:

Es ist daher wichtig, das Radar des ESM auszubauen und ihm eine stärkere Rolle bei der Überwachung der Risiken einzelner Länder zu geben. Ziel ist es, in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen Stabilitätsrisiken für und in den Mitgliedsländern der Eurozone effektiver und früher als in der Vergangenheit zu erkennen und diese Risiken so zu überwachen, dass sie von den betroffenen Ländern selbst reduziert werden können. Die Artikel-IV-Konsultationen des IWF könnten als Vorlage für diese neue Rolle dienen.

Eine solche Rolle für den ESM sollte auch die Überwachung der Einhaltung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Rahmen des Fiskalpakts umfassen, der 2012 verabschiedet wurde. Der ESM könnte schrittweise stärker als neutrale Institution zur Überwachung des Stabilitäts- und Wachstumspakts eingesetzt werden.

Mit anderen Worten könnten Technokraten des ESM befugt sein, sich in die Finanzen der Mitgliedstaaten einzumischen und Konditionalitäten aufzuerlegen, wenn sie der Meinung sind, der Staat könnte (oder hat bereits) die Steuerungsregeln verletzen. Da ist dann aber nichts demokratisches mehr dabei.

Nichts, was eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik hervorruft, bei der das Wohlergehen gefördert werden soll, statt sich an unangemessene und kontextfreie Fiskalregeln zu halten. Ferner würde der ESM Vorgaben für zahlungsunfähige Mitgliedstaaten erzwingen, und die Verluste würden im Rahmen einer Aufteilung mit dem ESM auf „private Gläubiger“ übertragen.

Der ESM wäre somit kein Stützpfeiler für die Mitgliedstaaten, die sich um die Einhaltung der Haushaltsvorschriften bemühen. Schäuble lehnt ausdrücklich die Idee einer „föderalen Fiskalkapazität“ ab:

Ehrgeizigere Szenarien und Pläne für den ESM und seine finanziellen Kapazitäten, entweder in Bezug auf die mögliche Rolle als zusätzliches Instrument für die umstrittene europäische Einlagensicherung oder in Bezug auf eine neue Fiskalkapazität als Transfermechanismus für die Eurozone, würden ihn zu sehr belasten und seinem Kernzweck zur Rettung von Staaten in großen Schwierigkeiten widersprechen.

Das heißt, Deutschland ist nach wie vor entschieden gegen Reformen, die die Eurozone funktionsfähig machen und nachhaltigen Wohlstand fördern könnten. Und für die Historiker unter uns erinnert Schäubles Beharren auf einem ESM-Wachhund an den ursprünglichen deutschen Vorschlag von 1995.

Erinnern Sie sich daran, dass der damalige deutsche Finanzminister Theo Waigel im November 1995 ein Memorandum in Umlauf gebracht hatte, in dem er einen Stabilitätspakt vorschlug, um das fiskalpolitische Ermessen der Regierungen einzuschränken. Der Vertrag von Maastricht hatte die fiskalische Seite der Währungsunion schlicht ungeregelt gelassen.

Der Vertrag enthielt Artikel über die Koordinierung und Überwachung der Haushaltspläne der Mitgliedstaaten und das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit, schlug jedoch vor, dass die Einzelheiten, die in dem Protokoll zu Artikel 104 dargelegt wurden, weitere Rechtsvorschriften und Aufnahme in den Vertrag erfordern würden.

Diese „Mitteilung“ von Waigel wurde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993 veröffentlicht, mit dem der Deutsche Bundestag die Genehmigung für den Eintritt Deutschlands in die WWU erhielt, unter der Voraussetzung, dass Preisstabilität ein vorrangiges Ziel der Währungssystem sein sollte.

Diese Entscheidung des Gerichtshofs und die Publizität, die sie hervorrief, führten der deutschen Regierung das Ausmaß der öffentlichen Ablehnung gegenüber der bevorstehenden Mitgliedschaft in der Währungsunion mit sich. Weigel sagte daher dem Bundestag am 7. November 1995, dass er „einen Stabilitätspakt für Europa als verbindliche Verpflichtung der Teilnehmer der dritten Stufe der Union vorschlage“.

Er wies darauf hin, dass der Stabilitätspakt die Haushaltsdefizite auf 3 Prozent (in ungünstigen Zeiten) begrenzen sollte. In normalen Perioden sollte das Defizit niemals 1% des BIP übersteigen, was bedeutete, dass sein Vorschlag noch extremer war als der Ansatz, der in Maastricht zu Beginn des Jahrzehnts umgesetzt wurde.

Weigel brachte seine Idee bis in den Ecofin-Rat der Eurogruppe am 27. November 1995 in Brüssel. Dessen Mitglieder waren besorgt, da er ein härteres Regime auferlegen wollte als im Vertrag von Maastricht festgeschrieben, welches auch außerhalb der normalen Institutionen der Europäischen Kommission arbeiten sollte. Im Rahmen seines vorgeschlagenen „Stabilitätspakts“ wollte er eine zwischenstaatliche Vereinbarung zur Einrichtung des „Europäischen Stabilitätsrates“ erarbeiten, der die Überwachungs- und Compliance-Prozesse des Pakts verwalten sollte.

Es würde strenge Strafen und andere Sanktionen gegen Staaten verhängen, die gegen die Regeln verstoßen. Die Geschichte zeigt uns aber, dass Frankreich, Spanien und Italien Weigels Plan ablehnten. Denn der konnte nicht beweisen, wie die starren Regeln, die er durchsetzen wollte, Wirtschaftswachstum und niedrige Arbeitslosigkeit unterstützen könnten. Er behauptete nur, dass die Preisstabilität die Transaktionskosten reduzieren und damit die Investitionen fördern würde.

Darüber hinaus war die Vorstellung schlicht idiotisch, dass eine Nation, die mit einem deutlichen Rückgang der privaten Ausgaben konfrontiert war, der ihr Defizit über 3% gezwungen hätte, auch noch einer erheblichen Geldbuße ausgesetzt sein würde. Die Strafe würde die Fähigkeit der „verletzenden“ Nation, seine Wirtschaft in schlechten Zeiten finanziell zu unterstützen und die zunehmende Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, weiter reduzieren.

Ende 1996 war der „Stabilitätspakt“ von Waigel nach einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem französischen Präsidenten Chirac und dem deutschen Bundeskanzler Kohl zum „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ transformiert. Weigels französischer Gegenpart warf ihm vor, „was Sie vorschlagen, ist ein Computer, der die Entscheidungen trifft. Politik durch Software“. Über diesen Zeitraum berichte ich in meinem Buch „Eurozone Dystopia 2015: Gruppensinn und Verleugnung im großen Maßstab“ ausführlich.

Schäuble lehnt auch jegliche Anregung ab, dass der derzeitige haushaltspolitische Rahmen, bei dem die Mitgliedstaaten die Hauptverantwortung für Ausgaben und Steuern tragen, aber die Flexibilität zur Einhaltung des Fiskalpakts einschränken müssen, dysfunktional ist.

Er behauptet:

Die Flexibilität unserer Fiskalregeln besteht gerade darin, sie funktionieren zu lassen.

Angesichts der Tatsache, dass sich die wichtigsten Wirtschaftsindikatoren seit der Krise in den einzelnen Mitgliedstaaten voneinander unterscheiden und nicht konvergieren, stellt sich die Frage, was ein solches Funktionsergebnis seiner Meinung nach darstellt.

Da die Arbeitslosigkeit in Griechenland immer noch über 21%, in Spanien etwa bei 17% und in vielen anderen Mitgliedstaaten ebenfalls hoch ist, funktioniert das System offensichtlich nicht. Es besteht im Gegenteil ein klarer Zusammenhang zwischen den Sparmaßnahmen und den unterschiedlichen Ergebnissen, welche die „Flexibilität“ der Regeln in Frage stellen.

Offensichtlich gibt es keine ausreichende Flexibilität für einen Mitgliedstaat, der mit einem größeren Ausgabenkollaps innerhalb der Regeln zu kämpfen hat. Die Krise hat gezeigt, dass allein die automatische Stabilisatorkomponente die Haushaltsdefizite über die zulässigen Grenzen hinweg überschwemmt und die Mechanismen für übermäßige Defizite (mit der Folge von Austerität und Sparmaßnahmen) auslöste.

Schäuble schrieb auch, dass:

… eine neue Fiskalkapazität oder eine Arbeitslosenversicherung für eine stabile Währungsunion wirtschaftlich nicht notwendig ist. Die antizyklischen öffentlichen Ausgaben erfolgen nie rechtzeitig …

Das ist einfach kategorisch gedacht.

Und damit ist er auf der Standard-Mainstream-Linie, mit der Charaktere wie Milton Friedman den Begriff der aktivistischen Fiskalpolitik schon immer diskreditierten – die Verzögerungen seien zu lang und die Fiskalpolitik werde prozyklisch – wenn die Regierung endlich handelt, hätten sich die nichtstaatlichen Ausgaben bereits erholt und die durch die Konjunkturmaßnahmen würde die Wirtschaft einfach überhitzt.

Erstens sind die Haushaltsregeln in der Eurozone jedoch ohnehin weitgehend prozyklisch, wie bereits weiter oben erwähnt.

Zweitens gehört es zu den Lehren aus der Krise, dass Regierungen, die pragmatisch reagierten und den ideologischen Antagonismus gegen Defizite abgelehnt haben, effektive Wege finden konnten, um trotzdem Geld auszugeben und damit die Auswirkungen des Zusammenbruchs der nichtstaatlichen Ausgaben zu reduzieren.

Drittens würde ein Programm wie eine Job-Garantie sofort dann wirken, sobald der Nichtregierungssektor kürzer treten müsste. Die Menschen kämen sehr schnell wieder in bezahlte Arbeit (die bereits im Voraus geplant wurde, um reaktionsschnell eingreifen zu können) und würden nicht wie jetzt in der Warteschlange der Erwerbslosigkeit verharren müssen.

Schäuble ist letztlich der Ansicht, dass sich Mitgliedstaaten, die unter „asymmetrischen Schocks“ leiden, „durch bessere Migration innerhalb der EU27 viel stärkere Möglichkeiten bieten könnten, die Arbeitslosigkeit im Krisenfall unter Kontrolle zu halten“. Es erscheint jedoch ganz klar, dass die innergemeinschaftliche Migration trotz der Lockerung der Regeln (Shengen) unzureichend ist, um das Missverhältnis der Arbeitslosenquoten in ganz Europa zu verringern.

Auch andere Merkmale des ESM sagen uns, dass Schäuble nicht realisiert hat, dass die „deutsche Sichtweise“ zu Europa nicht funktioniert. Die Idee, dass der ESM Insolvenzverfahren einleiten würde, zeigt uns somit sofort, dass Schäuble nicht verstanden hat, dass die Eurozone eine funktionierende Währungsunion darstellt.

Was er stattdessen vorschlägt, ist in Wirklichkeit die unhaltbare Situation vor dem Maastricht-Vertrag, als Länder mit externen Defiziten gezwungen waren, höhere Zinssätze anzubieten, um eine Währungsabwertung zu verhindern.

Der Unterschied besteht jetzt darin, dass die Anleihemärkte die Mitgliedstaaten, die aufgrund von Rezessionen mit Haushaltsdefiziten zu kämpfen haben, wegen des Ausfallsrisikos zwingen könnten, höhere Renditen auf begebene Schuldtitel zu zahlen. Während alle Mitgliedstaaten ein Ausfall- (Kredit-) Risiko für die von ihnen emittierten Schulden haben, weil sie keine eigene Währung emittieren, würden Volkswirtschaften, die sich einer Rezession gegenübersehen, auf den Anleihemärkten unerträgliche Forderungen entgegensehen.

Die Spirale der Insolvenz würde sich dann beschleunigen, gerade so wie in den Währungskrisen der 1970er und 1980er Jahren, weil die Regierungen der Mitgliedstaaten beharrlich unhaltbare feste Paritäten gegenüber der mächtigen deutschen Mark beibehielten.

In seinem Financial Times-Interview sagte Schäuble weiter: „Der Euro sollte die Währung der gesamten EU sein. Wir müssen einen Punkt erreichen, an dem die gesamte EU ihn benutzt.“ Der Vorschlag von Schäuble, den ESM einzuführen, würde jedoch die verbleibenden europäischen Nationen enorm abschrecken, ihre eigene Währung abzugeben und der WWU beizutreten.

Die Abhängigkeit von den Bondmärkten zur Disziplinierung und letztlich sogar zur Erzwingung der Insolvenz von Regierungen stellt damit eher ein Rezept für Chaos als für Konvergenz und Stabilität. Es erscheint somit klar, dass die deutsche Sicht der Dinge – wenn sie nach Schäubles Abschied fortbesteht – die starke Ablehnung jeglicher Vorstellung von Schuldenvergemeinschaftung und Risikoteilung auf „föderaler“ Ebene beibehält.

Das „Non-Paper“ ist eher eine religiöse Aussage als eine Kohärenz. Es behauptet letztlich nur, dass die Dinge gut sind und mit mehr Überwachung, strengeren Regeln und strukturpolitischen Maßnahmen (Lohn- und Rentenkürzungen usw.) noch weiter verbessert werden könnten. Doch die inhärente Neigung zur Krise wird eher beschleunigt, wenn Schäubles Vorschläge die Art und Weise werden soll, wie die Europäische Kommission weiterarbeiten will.

Schäuble hinterlässt meiner Ansicht nach eine schreckliche Bilanz, obwohl die Medien ihn nach wie vor als einen Visionär ansehen.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des australischen Ökonomen Bill Mitchell)