Wilhelm Lautenbach: Kapitalbildung und Sparen – Teil 6

Fortsetzung von Teil 5:

Um den Prozess ganz klar zu überschauen, wollen wir einmal annehmen, alle Löhne und Gehälter würden bargeldlos gezahlt. Außerdem wollen wir noch unterstellen, alle Unternehmer seien Bankschuldner. Das ist eine Versuchsanordnung, die den Überblick ungemein erleichtert und das Wesentliche scharf hervortreten lässt.

Anteile von Faktorkosten, Abschreibungen und Unternehmergewinn an den abgesetzten Verbrauchsgütern
Zusammenhang zwischen Investition und Produktionsvolumen

Die Gesamtbilanz aller Banken – wir können uns auch eine Universalbank vorstellen – zeigt am Tage vor dem Monatsletzten folgendes Bild:

Kreditoren wären hierbei ausschließlich Nichtunternehmer, und ihre Guthaben hätten den Charakter von Spareinlagen, weil es ja Beträge wären, die am Ende der Einkommens-periode noch nicht verausgabt sind. Nunmehr werden die Löhne und Gehälter gezahlt; nehmen wir an 2 Milliarden. Das Bilanzbild ist demzufolge:

Gäben nun die Lohn- und Gehaltsempfänger ihr Gesamteinkommen im Laufe des folgenden Monats wieder aus, so wäre unmittelbar vor der nächsten Gehaltszahlung die ursprüngliche Bilanz wieder hergestellt, und damit auch wieder die ursprüngliche Liquidität der Bank. Würden sie aber nicht alles ausgeben, sondern, sagen wir, 10 % des Einkommens sparen, dann wäre vor der nächsten Gehaltszahlung das Bilanzbild:

Weil ja nur 1800 Millionen von den von den Unternehmern verausgabten Lohn- und Gehaltssummen an sie zurückgeflossen wären. Mit anderen Worten: Der neuen Ersparnis von 200 Millionen aus Löhnen und Gehältern steht von vornherein eine um 200 Millionen höhere Schuld der Unternehmer gegenüber.

Diese 200 Millionen sind nicht erst etwa auszuleihen, sondern sie waren schon im Moment der Gehaltszahlung ausgeliehen. Die Ersparnis der Gehaltsempfänger hat die Liquidität der Unternehmer und zugleich auch die Liquidität der Bank herabgesetzt, denn in einem System des reinen bargeldlosen Verkehrs müssten wir allein das Bankkredit-volumen und den Umschlag auf den Debitorenkonten als Liquiditätskriterium nehmen.

Je höher das Bankvolumen und je geringer der Umschlag auf den debitorischen Konten, je geringer die Liquidität und umgekehrt. Es ist evident, dass nach diesen Liquiditäts-kriterien die Liquidität der Bank größer ist, wenn die Gehalts- und Lohnempfänger nicht sparen.

Mit anderen Worten: das Sparen versteift den Bankkredit und erhöht den Zins, führt also keineswegs automatisch zu einer Vermehrung der Investition, sondern, da ein steigender Zins die Investitionslust dämpft, tendenziell zu einer Verminderung. Man darf diese Feststellung nicht falsch verstehen, nämlich nicht in dem Sinne, als ob sie beweise, dass Sparen Unsinn ist. Sie soll nur zeigen, dass Sparwille und privatwirtschaftliche Ersparnisse nicht automatisch Investitionslust und entsprechend vermehrte Investitionen auslösen.

Sie soll ferner zeigen, dass die oft gebrauchte Formel von der Wiederausleihung „echter“ Ersparnisse höchst problematisch ist, genau so problematisch wie der andere als Gegensatz hierzu gebrauchte Begriff der Kreditschöpfung.

Ich muss mich darauf beschränken, dies hier nur anzudeuten: Das Kreditvolumen unserer Universalbank kann bei der von uns gewählten Versuchsanordnung überhaupt nur wachsen, wenn die Nichtunternehmer Sparen. Anderseits könnten die Unternehmer beliebig viel investieren, ohne dass die Bankschuld wüchse, obwohl sie eigene flüssige Mittel gar nicht zur Verfügung haben, sondern alle verschuldet sind, vorausgesetzt nur, dass sie allesamt und ziemlich gleichmäßig1 investieren, der Einzelne mindestens soviel, dass er nicht Bankgläubiger wird.

Wenn nämlich ein Unternehmer mehr Kredit in Anspruch nimmt, um zu investieren, so treten in der Höhe, wie Löhne und Gehälter gezahlt werden, die Einkommensdepositen von Nichtunternehmern auf.

Diese aber fließen ja im Laufe der Einkommensperiode an den Unternehmerkreis zurück, bis auf den geringen Rest, der von den Einkommensbeziehern gespart wird. Was aber anderen Unternehmern zufließt, führt ja nur zu einer Reduktion von deren Bankschuld, so dass die Gesamtschuldsumme der Unternehmer immer gleich bleibt, wenigstens solange gleich bleibt, wie nicht einzelne von ihnen völlig entschuldet und damit Kreditoren [„Nettosparer“]2 werden.

Das aber tritt nicht ein, wenn jeder die Mittel, die ihm zufließen auch wieder investiert. Ebenso aber wie die Unternehmer allesamt in beliebiger Höhe investieren können, ohne sich deshalb mehr zu verschulden, so können sie auch pro rata ihres Umsatzes allesamt beliebig viel verbrauchen, ohne sich mehr zu verschulden.

Dieser kreditwirtschaftliche Prozess ist Reflex und zugleich Bestätigung der Erkenntnis, die wir aus der oben entwickelten Formel für das Unternehmereinkommen ableiteten, nämlich dass Investitionen und Eigenverbrauch der Unternehmer ihr Einkommen positiv, die Ersparnisse der Nichtunternehmer es aber negativ bestimmen.

Anmerkungen:
1 Siehe auch Saldenmechanik der Unternehmensinvestitionen – Selbstfinanzierung der Investitionen bei Ausgabengleichschritt.

2 Die Unternehmen selbst zu „Nettosparern“ werden, Einnahmeüberschüsse kumulieren – seit den 1970ern ist die Abnahme realwirtschaftlicher Investitionen zu Gunsten finanzwirtschaftlicher Spekulation zu bemerken – damit entzieht der Unternehmenssektor realwirtschaftliche Einnahmen – sich selbst sowie der Gesamtwirtschaft. Staatliche Defizite haben diese monetären „Entzugseffekte“ bislang teilweise kompensiert. Vgl. Stephan Schulmeister (2013): Der neoliberale Wechselschritt (PDF; 288 kB) [Anm. C.G.BRANDSTETTER].

Weiter hier demnächst mit dem letzten Beitrag (Teil 7).

Auszug aus einem Vortrag von Wilhelm Lautenbach vom 28. Oktober 1937, gehalten im „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes von 1821“ – aus altdeutscher Schrift übertragen durch C.G.BRANDSTETTER.