Vorhang auf für das Lange Zwanzigste Jahrhundert – Handel und Empire

Inwieweit die Seestreitkräfte und Handelsflotten der großen europäischen Seemächte und Imperien im 16., 17. und 18. Jahrhundert die industrielle Entwicklung Westeuropas prägten, war immer eines der am heftigsten diskutierten und letztlich ungeklärten Themen der Wirtschaftsgeschichte.

The Mill Yard - Ten Views in the Island of Antigua (1823), plate V - BL
Zuckerplantage in der britischen Kolonie Antigua, 1823

Diese europäische Expansion im 16., 17. und 18. Jahrhundert stellte jedoch eine Katastrophe für die Regionen Westafrikas dar, in denen der Sklavenhandel seinen Ursprung hatte; für die Indianer der Karibik; für die Azteken und die Inkas, die Hügelbauer des Mississippi-Tales; und für die Fürsten von Bengalen und andere, die in den Nachfolgekriegen um die Gewinne des indischen Moghul-Imperiums mit der Britischen Ostindien-Kompanie konkurrierten – das ist hingegen nicht umstritten.

Aber wie stark haben vorindustrieller Handel sowie Raub und Diebstahl die europäische Entwicklung beeinflusst? Dies erscheint bei weitem nicht so klar ersichtlich.

Es ist indes eindeutig, dass bereits am Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht der Handel mit Luxusgütern, sondern der mit Grund-nahrungsmitteln begann, die Geschichte tiefgreifend zu ändern. Zum ersten Mal war der transozeanische Handel nicht nur für eine herrschende Elite von Bedeutung, sondern für die gesamte Wirtschaft.

Der Export von Baumwolle aus dem amerikanischen Süden hatte enorm an Bedeutung gewonnen. Ohne den Appetit der britischen und neu-englischen Fabriken nach Baumwolle und der Möglichkeit, ihnen diesen Rohstoff billig zu liefern, wären die Sklaven des amerikanischen Südens im Jahr 1860 genau das gewesen, was sie für George Washington in den 1790er Jahren bedeuteten: rund ein Viertel seines Vermögens, das er zudem bereit war zumindest nach seinem Tod frei zu lassen, weil es als das Richtige angesehen wurde. Für Jefferson Davis dagegen machte nicht der Landbesitz sondern seine Sklaven drei Viertel seines Vermögens aus – und somit kam dann unvermeidlich der US-amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865.

Die Baumwolle des frühen 19. Jahrhunderts erwies sich als Nachfolger dessen, was der Zucker für das späte 18. Jahrhundert dargestellt hatte. Der Export von Zucker von den karibischen Inseln und aus Lateinamerika (ebenso wie auch Tabak, Tee, Kaffee, Schokolade usw.) bedeutete, dass die europäische Landwirtschaft nicht annähernd so viel Flachs anbauen oder so viel Wolle aufbringen oder so viele Kalorien wie nötig produzieren musste. Dies verschaffte der britischen Wirtschaft einen zusätzlichen Vorteil: als wenn es einen zusätzlichen Geisterarbeiter gäbe, der nicht wie seine realen Kollegen zusätzlich ernährt oder bezahlt werden musste.

Aus der Sicht der Zeit von 1870 war dies ein wichtiger Punkt für die erweiterte inter-kontinentale Arbeitsteilung und die daraus resultierende höhere Produktivität in Europa.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrags des amerikanischen Ökonomen Bradford DeLong)