Leon Podkaminer: Private Überschussersparnisse dürften in Zukunft zunehmen – Teil 3 und Schluss

Ob es in Zukunft einen echten Grund für eine wie in Teil 2 diskutierte derart expansive Fiskalpolitik geben wird hängt dabei stark von den Tendenzen in Bezug auf privates Sparen und private Investitionen ab.

U.S. Private Sector Financial Surplus
‎FRED-Grafik der privaten Ersparnisse und Investitionen in den USA
für Januar 1990-September 2012.‎

Wie bereits angedeutet ist durchaus mit einer Fortsetzung der vergangenen Tendenzen zu rechnen: ein weiterer Rückgang der Investmentanteile bei gleichzeitig steigender (oder bestenfalls stagnierender) Sparneigung.

Die tiefen („systemischen“) Tendenzen, die dem Spar- und Investitionsverhalten des privaten Sektors zugrunde liegen, dürften sich in Zukunft verstärken. In den Hochein-kommensländern ist weder ein entscheidender Anstieg der Lohnquote noch ein Rückgang der Einkommensungleichheit vorstellbar.

Wenn überhaupt, dürften die kombinierten Auswirkungen der fortschreitenden Globalisierung (Auslagerung der Produktion in Niedriglohn- und Niedrigsteuerländer) und des technologischen Wandels (Ausbreitung „intelligenter Maschinen“, die die Nachfrage nach menschlichen Arbeitskräften einschließlich hochqualifizierter Berufe verringern werden) weiterhin für fallende Investitionen und steigende Einkommens-ungleichheit sorgen, die gleichzeitig die private Sparquote erhöhen. Die überschüssige private Ersparnis wird dann parallel zu einer zunehmenden Einkommensungleichheit ansteigen.

Ob es zu solchen privaten Übersparungen kommt wird vom Kurs der Fiskalpolitik in den Hochein-kommensländern abhängen. Da die Fiskalpolitik konsequent defizitäre Ausgaben ablehnt, wäre der Privatsektor nicht in der Lage, über die Investitionen hinaus Einsparungen zu erzielen. Mit anderen Worten, das verfügbare Einkommen des Privatsektors dürfte nicht steigen.

Tatsächlich würde die sinkende (oder stagnierende) private Ersparnis auf ein Niveau getrieben, das mit den sinkenden (oder stagnierenden) Investitionen übereinstimmt. Unter solchen Bedingungen würde die reale Produktion bestenfalls stagnieren.

Alternativ würde eine akkommodierende Fiskalpolitik die überschüssigen Ersparnisse des Privatsektors durch Ausgleich öffentlicher Finanzdefizite unterstützen. Die zusätzliche Nachfrage nach privater Produktion (gleiches zusätzliches Einkommen des privaten Sektors und gleiches Übermaß an privater Ersparnis) würde das reale Produktions-wachstum stützen.

Das von steigenden Staatsschulden getriebene Wachstum könnte anhalten – solange der private Sektor weiterhin Lust auf neu ausgegebene Staatsschulden hat. Sollte irgendwann der Privatsektor mit der Menge seines finanziellen Reichtums (in Form von gehaltenen Staatsschulden) „zufrieden“ sein, könnten sie auf die öffentliche Nachfrage nach mehr privat produzierten Gütern und Dienstleistungen nicht mehr reagieren. In einem solchen Stadium wäre die defizitäre Finanzpolitik nicht mehr wirksam (und das Haushaltsgleichgewicht würde automatisch wiederhergestellt).

Muss man sich Sorgen machen, dass die Privatwirtschaft in den Hocheinkommensländern endlich mit ihrem finanziellen Reichtum übersättigt ist? Dieses Ergebnis ist ziemlich schwer vorstellbar, und die empirischen Beweise (die Erfahrung in Japan) legen nahe, dass noch ein langer Weg vor uns liegt.

Sollten sich die vergangenen (und aktuellen) Tendenzen, die dem Sparen und Investieren des Privatsektors zugrunde liegen, fortsetzen, muss man also mit der Entstehung eines großen potenziellen privaten Sparüberschusses im einkommensstarken Teil der Weltwirtschaft rechnen.

Wenn die Fiskalpolitik versucht, die Verwirklichung von Defiziten des öffentlichen Sektors zu verhindern, wird das reale Wirtschaftswachstum wahrscheinlich zum Erliegen kommen. Mit anderen Worten, das anhaltende Produktionswachstum der Länder mit hohem Einkommen erfordert eine kooperative Fiskalpolitik, die den Privatsektor mit Einkommensspritzen unterstützt, die durch steigende Staatsschulden finanziert werden.

Diese Schlussfolgerung ist eine Variante des „klassischen“ Functional-Finance-Prinzips. Im Gegensatz zu letzteren lautet unsere Schlussfolgerung jedoch, dass die Staatsver-schuldung mehr oder weniger dauerhaft wachsen muss – und nicht nur als Reaktion auf „zyklische“ Wachstumsverlangsamungen oder gelegentliche Rezessionen.

Während das in einem einzelnen Land angewandte Prinzip der funktionalen Finanzen wahrscheinlich unpraktisch ist (aufgrund der durch Außenhandel, Kapitalbewegungen und Wechselkurse verursachten Komplikationen), dürfte eine international kooperative und akkommodierende Finanzpolitik, die größere außenwirtschaftliche Ungleichgewichte ausschließt, wahrscheinlich besser abschneiden in der Praxis.

Natürlich wären große funktionale Finanzdefizite, selbst wenn sie kooperativ geführt würden, nicht frei von potenziellen Problemen (und es würde ihnen somit gelingen, das Ausmaß externer Ungleichgewichte abzumildern). Die Betrachtung dieser Probleme geht über den Rahmen dieser Anmerkung hinaus.

In jedem Fall sollte daran erinnert werden, dass, wenn große Haushaltsdefizite problematisch werden (z. B. wenn entweder der Privatsektor die Staatsverschuldung oder die Währung nicht mehr für akkumulierbar hält oder wenn die falschen Ansichten über die Gefahren einer wachsenden Staatsverschuldung vorherrschen) das Wachstum wahrscheinlich zum Stillstand kommen wird.

Haushaltsdefizite, die als dauerhafter Ersatz für (aus welchen Gründen auch immer) schwindende private Investitionen und stagnierenden privaten Konsum dienen, können ein anhaltendes Gesamtwachstum stützen. Die Natur der Wirtschaft wird sich jedoch allmählich verändern. Während die Produktion (und die Gewinne) privat blieben wird der öffentliche Sektor ein immer wichtigerer „Kunde“ des privaten Sektors werden.

Der öffentliche Sektor würde an letzteren stetig wachsende Lieferungen von Gütern und Dienstleistungen in Auftrag geben (die mit Staatsschulden zu bezahlen sind). Das bietet eine Chance, wichtige gesellschaftliche Ziele (z. B. im Umweltschutz) zu erfüllen, die der privatwirtschaftlich gewinnorientierte Sektor nicht allein von sich aus zu berücksichtigen bereit ist.

Dies ist der Abschluss einer Beitragsreihe, welche die Argumente zusammenfasst, die in dem Artikel von Leon Podkaminer „Die private Sparschwemme und das finanzielle Gleichgewicht der Industrieländer“ (Review of Keynesian Economics, Nr. 1, 2019) entwickelt wurden.

Teil 1 hier und Teil 2 hier