Kreditmechanik: Ein Vorläufer der aktuellen Debatte um die Geldmenge

Die Kreditmechanik und verwandte Ansätze wurden bekanntlich in den 1920er und 1960er Jahren von einer Gruppe deutscher Währungsökonomen entwickelt. In diesem Beitrag wird die Analyse der Kreditmechanik im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um die Geldmenge bewertet.

Deutsche Bundesbank 05
Eingang der Zentrale der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main

Diese Theorie bezieht sich dabei auf eine einseitige, bankzentrierte Sicht der Geld-schöpfung, die heute häufig in der Geldtheorie anzutreffen ist. Da die alten Standard-Lehrbuchmodelle der Geldschöpfung inzwischen als diskreditiert angesehen werden müssen, plädieren die Autoren für einen allgemeineren Ansatz der Geldmengentheorie unter Einbeziehung der Kreditmechanik.

Die expansiven Interventionen der Zentralbanken während der Finanzkrise 2007/08 und der europäischen Staatsschuldenkrise von 2012 haben zu einem erneuten theoretischen Interesse an der Rolle von Banken und Zentralbanken im Geldschöpfungsprozess geführt. Eine massive Explosion der Geldbasis förderte nicht etwa eine gleichwertige Erhöhung der Geldmengenaggregate, wie dies möglicherweise von der ökonomischen Lehrbuch-Theorie zur Geldvermehrung erwartet wurde.

Dies hat den akademischen Standardansatz erheblich diskreditiert und eine neue Debatte über die Determinanten der Geldmenge ausgelöst. Die Debatte umfasste führende Zentralbanken (McLeay et al. 2014, Jakab und Kumhof 2015, Deutsche Bundesbank 2017) und hat die Geldschöpfungskapazität von Banken zu Recht wieder in den Fokus gerückt.

Zentralbanken und Geschäftsbanken schaffen neues Geld, wenn sie Kredite gewähren oder Vermögenswerte kaufen und in eigenen Banknoten bezahlen oder den Betrag als Sichteinlage gutschreiben. Viele Interpretationen dieses Geldschöpfungsmechanismus gehen jedoch auch davon aus, dass Banken das Geldangebot bestimmen können, da sie Geld schaffen können. Einige Theoretiker gehen sogar noch weiter und behaupten, dass diese Fähigkeit des privaten Bankensektors ein grundlegendes institutionelles Problem darstellt, das durch die Einrichtung eines eingeschränkten Bankensystems oder eines vollständig nationalisierten Geldbestands beseitigt werden muss (Decker 2017).

In dieser Kolumne wird argumentiert, dass diese eindimensionale Interpretation der Geldschöpfung die Rolle der Banken bei der Initiierung von Krediterweiterungen des privaten Sektors (siehe auch Goodhart 2017) überzeichnet und nicht die Einflüsse berücksichtigt, die Bankschuldner und -gläubiger auf die Geldmenge ausüben ein-schließlich sowohl des privaten als auch des öffentlichen Sektors außerhalb der Banken.

Interessanterweise wurde eine eher ganzheitliche, aber weniger bekannte Geldmengen-theorie, die sich mit diesen Fragen befasst, bereits in den 1920er und 1960er Jahren von deutschen Währungsökonomen entwickelt, die als „Kreditmechanik“ bekannt wurde. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die Theorie der Kreditmechanik im Zusammenhang mit der aktuellen Debatte um die Geldversorgung.

Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Arbeit des deutschen Ökonomen und Regierungs-beamten Wilhelm Lautenbach und des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers Wolfgang Stützel, der auch im Sachverständigenrat der Wirtschaftsexperten saß (Lautenbach 1952, Stützel 1953 [1979], 1958 [1978]; siehe Decker und Goodhart 2018 für eine ausführlichere Diskussion einschließlich anderer bemerkenswerter Autoren in diesem Zusammenhang).

Die Kreditmechanik
Lautenbachs wichtigste Erkenntnis war, dass Änderungen des Kreditvolumens nicht nur wirtschaftliche Transaktionen widerspiegeln, wie sie beispielsweise bei der Produktion und dem Verkauf von Rohstoffen entstehen, sondern auch auf rein finanzielle Prozesse im Zusammenhang mit der Kreditorganisation zurückzuführen sind (Lautenbach 1952). Um dies zu betonen, konstruierte Lautenbach eine vereinfachte Version von Albert Hahns Modell der bargeldlosen Wirtschaft (Hahn 1920, 2015), indem er alle Bankkonten zu einem bei einer einzigen Bank zusammenfasste und davon ausging, dass Bankkredit die einzige Form des Kredits war (Lautenbach 1952).

Die formalen, rechnerischen Beziehungen zwischen Gläubiger- und Debitorenkonten, die Lautenbach als „Kreditmechanik“ bezeichnete, bestimmen dann das Kreditvolumen (Geldmenge). In diesem Modell muss die Summe der Konten der Bankgläubiger gleich der Summe der Konten der Bankschuldner sein, woraus folgt, dass Kredite und Einlagen gleichzeitig auftreten und verschwinden müssen.

Lautenbach (1952) zeigte dann, dass Schuldner-zu-Schuldner und Gläubiger-zu-Gläubiger-Transaktionen das Volumen des Bankkredits unverändert lassen, während Gläubiger-zu-Schuldner-Transaktionen dies reduzieren („Bankgeldvernichtung“) und Zahlungen der Schuldner an die Gläubiger die Menge der Bankkredite erhöhen („Bankgeldschöpfung“).

Auf dieser Grundlage machte Lautenbach geltend, dass dabei nichts zur Priorität der Aktiv- oder Passivseite der Bankbilanz gesagt werden könne (Lautenbach 1952). Die Entscheidung, ein bestimmtes Bankguthaben zu halten setzt nämlich voraus, dass ein entsprechendes Darlehensvolumen aufrechterhalten werden muss. Lautenbach argumentierte daher logischerweise, dass das Volumen der Lohnzahlungen und der Ersparnisse der privaten Haushalte (nicht ausgegebene Lohngelder) die wichtigsten Determinanten der Geldmenge seien.

Grundlage hierfür war die Annahme, dass Transaktionen zwischen Unternehmen hauptsächlich Transaktionen zwischen Schuldnern darstellen, die nach den Regeln der „Kreditmechanik“ das Gesamtkreditvolumen der Bank unverändert lassen. Laut Lautenbach war die Entwicklung der zukünftigen Einlagennachfrage daher der beste Indikator für die Entwicklung des Kreditvolumens.

Lautenbachs Kreditmechanik wurde von Stützel (1953 [1979]) in seiner Analyse der Determinanten des Bankkreditvolumens aufgegriffen und bildete einen zentralen Teil seiner Theorie der „Saldenmechanik“ (Stützel 1958 [1978]). Er argumentierte, dass die Ansicht, dass neue Bankdarlehen im Allgemeinen zu einem Anstieg des Bankkredit-volumens führen, auf einen Trugschluss der Verallgemeinerung zurückzuführen sei. Während für eine Teilmenge von Banken eine Erhöhung der Neukreditvergabe zu einem Anstieg der Aktiva aus Krediten führen könnte, musste dies nicht unbedingt für die gesamte Gruppe der Banken der Fall sein (Stützel 1953 [1979]).

Im Gegensatz dazu bestand das funktionale Verhältnis zwischen neuen Krediten und dem Gesamtvolumen der Bankkredite (der Zentralbank und der Banken) darin, dass eine Steigerung neuer Darlehen (von den Banken und der Zentralbank) pro Periode mit einer gleichmäßigen Verstärkung des Rückzahlungsflusses und/oder des Zuflusses neu entstandener Einlagen übereinstimmen müsse. Stützel argumentierte daher, es bestehe kein direkter Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Neukredite pro Periode und dem Kreditvolumen. Dies steht im Widerspruch zu dem, was eine naive Interpretation der Theorie „Kredite schaffen Einlagen“ nahe legen würde.

Stützel lehnte auch jede einseitige, bankzentrierte Sicht der Geldmengenbestimmung ab. Er argumentierte, dass jeder Kreditvertrag immer aus zwei Parteien bestand (Stützel 1953 [1979]). Die Initiative zum Abschluss des Vertrags könnte zeitweise von der Bank und zeitweise vom Nichtbankkunden ausgehen. Daher führten Behauptungen, wonach Zentralbanken Geld in die Wirtschaft „pumpen“ und Geschäftsbanken Kredite schaffen bzw. Sichteinlagen erhöhen könnten, ohne dass die Öffentlichkeit aktiv daran teilnähme zu der entscheidenden, allerdings häufig unbestimmten Annahme, der Markt für Zentralbankgeld und Bankeinlagen wäre ein Verkäufermarkt.

Boomende Kapitalmärkte und eine starke Konsolidierung der Einlagenbestände könnten jedoch ein Umfeld schaffen, in dem die Nichtbanken entscheiden, wie viel von dem angebotenen Bankkreditangebot in Anspruch genommen wird (Stützel 1953 [1979]). Ein weiterer kritischer Faktor war die individuelle Kreditfähigkeit des einzelnen Bankkunden. Nach Ansicht von Stützel (1959) war diese Kapazität stets begrenzt und wurde durch den Wert des Vermögens des Kreditnehmers und den Grad der Monetarisierung und Verwendung eines einzelnen Vermögenswerts als Sicherheit bestimmt (ein wichtiger, jedoch häufig vernachlässigter Punkt, den Heinsohn und Steiger kürzlich betonten 2013).

Implikationen
Die von Lautenbach und Stützel vorgetragenen Erkenntnisse stützen die Aussagen eines Autors dieser Kolumne (Goodhart 2017), der feststellte, dass Kredite an den privaten Sektor außerhalb des Bankensektors häufig im Voraus in Form von limitierten Überziehungskrediten oder Bereitschaftsdarlehen ausgehandelt werden. Die tatsächliche Inanspruchnahme des Darlehens verbleibt dann vollständig beim Kreditnehmer. Das Machtgleichgewicht der vorherigen Verhandlungen liegt zudem auch nicht vollständig in den Händen der Bank. Wettbewerb und Regulierung begrenzen die Befugnis jeder Bank, eigene Kreditbedingungen festzulegen, ebenso wie die Verfügbarkeit von Sicherheiten die Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers einschränkt.

Neuere Veröffentlichungen zur Geldschöpfung – McLeay et al. (2014), Jakab und Kumhof (2015) und Werner (2014, 2016) – konzentrieren sich in erster Linie auf die Geldschöpfungsfähigkeit der einzelnen Banken, wobei sie die Entwicklungen der deutschen Währungsökonomie seit Hahn (1920) kaum oder gar nicht zur Kenntnis nehmen. Die theoretische Analyse der Bestimmung der Geldmenge in den USA und Großbritannien stützte sich zu lange auf irreführende partielle Gleichgewichtsansätze. Früher beruhte sie auf dem Geldmultiplikator, der implizierte, dass die Geldmenge hauptsächlich von Änderungen der Geldbasis durch die Zentralbank gesteuert wurde.

Dies ignorierte die Tatsache, dass, wenn die Zentralbank einen kurzfristigen Zinssatz festlegen wollte – was im Allgemeinen der Fall war – die Geldmenge sich an den Bedarf der Geschäftsbanken an Zentralbankgeld und nicht umgekehrt orientieren musste. In der Folge hat die Trennung zwischen der jüngsten Explosion der Bankguthaben bei der Zentralbank und dem langsamen Wachstum der breiteren Geldmenge den Ansatz des Geldmultiplikators beseitigt.

Diese Lücke füllt sich jedoch durch eine weitere partielle Gleichgewichtsanalyse, bei der der Fokus ausschließlich auf der angeblich unilateralen Fähigkeit der einzelnen Bank liegt, Kredite und Geld aus dem Nichts zu schaffen. Im Gegensatz dazu wird hier argumentiert, dass ein allgemeinerer Ansatz für die Geldmengentheorie unter Einbeziehung der Kreditmechanismen und des Einflusses aller Beteiligten, einschließlich der Bankschuldner und Gläubiger sowie des privaten als auch des öffentlichen Sektors geschaffen werden muss.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages der beiden Ökonomen Frank Decker und Charles Goodhart)