Europa, Europa! Dieser Traum stirbt nie!

Dieses Video zeigt beispielhaft die Probleme der Europäischen Union bei der Verwaltung ihres eigenen Images. Es wurde 2012 produziert und dann zurückgerufen, nachdem es allgemein als „rassistisch“ eingestuft wurde.

In gewisser Hinsicht war es das auch, aber gleichzeitig bedeutete es auch einen der wenigen Versuche der Union, sich auf eine Weise zu präsentieren, die über das langweilige Bild einer Gruppe von Bürokraten hinausgeht, die im Namen der globalen Finanzmächte handeln.



Ohne die Fähigkeit, ein positives Bild von sich selbst zu projizieren, ist die Union möglicherweise zum Scheitern verurteilt. Es trifft aber auch zu, dass die separatistischen Parteien bei den jüngsten Europawahlen nicht so viel gewonnen haben, wie sie gehofft hatten. Gute Träume sterben nie, sie halten sich über die Zeit. Und wer weiß? Eines Tages könnte der Traum von einem wirklich vereinten Europa wahr werden.

Vor langer Zeit war der Begriff „Europa“ eine vage Definition für das nördlich des Mittelmeeres gelegene Land, eine riesige Region aus Nebel und Sümpfen, in der beharrte Barbaren lebten. Mit der Zeit beherrschte das Römische Reich dieses Gebiet, welches wir heute als „Westeuropa“ bezeichnen, aber niemand träumte damals wirklich davon, sich selbst als „Europäer“ zu bezeichnen. Seit mehr als einem Jahrtausend würden sich die Einwohner dieser Region stolz als „Römer“ charakterisieren, obwohl sie die Stadt Rom vielleicht nie in ihrem Leben gesehen hatten.

Nach dem Niedergang Roms im 5. Jahrhundert sank die europäische Bevölkerung beständig und schätzungsweise um 650 n. Chr. schrumpfte sie auf rund 18 Millionen Menschen. Europa war ein riesiger Wald, der hier und da von Burgen, Dörfern und gelegentlich von den Ruinen großer Städte durchzogen wurde. Dies galt als der Beginn des sogenannten „dunklen Zeitalters“, das allerdings überhaupt nicht finster war.

Zu dieser Zeit entstand Europa. Nicht, dass Europa so etwas wie eine anerkannte Einheit gewesen wäre – die Leute hätten sich „Christen“ genannt, aber niemals „Europäer“. Doch Europa war zu einer erkennbaren kulturellen Einheit geworden. Es erwies sich als das Ergebnis zweier mächtiger Kommunikationsmittel, die die Europäer vom Römischen Reich geerbt hatten: der lateinischen Sprache und den Kodizes, die die alten Schriftrollen ersetzten.

Latein war die Sprache der römischen Legionen. Dann, als die Legionen gegangen waren, wurde es die heilige Sprache des Christentums und gleichzeitig die Sprache des Handels und der Politik. Nur wenige Europäer konnten Latein tatsächlich sprechen, die meisten beschränkten sich auf ihre Landessprache, doch wenn Herrscher und Kaufleute andere Sprachen nutzen wollten, mussten sie Latein sprechen. Und die westeuropäischen Intellektuellen konnten sich nicht einmal vorstellen, sich in einer anderen Sprache auszudrücken.

Das andere Instrument, das die europäische kulturelle Einheit schuf, war der Kodex. Eine bemerkenswerte Erfindung: Er stellte das dar, was wir heute als „Buch“ bezeichnen, eine Reihe von miteinander verbundenen Blättern aus Papier, Pergament, Papyrus oder ähnlichen Materialien. Die Existenz von Büchern erscheint uns heute offensichtlich, aber zu dieser Zeit bedeutete sie eine große Revolution. Das Speichern und Zugreifen auf Informationen konnte wesentlich effizienter und schneller erfolgen als mit den alten Rollen.

Mit Latein und den Kodizes wurde das Mittelalter zu einer hoch entwickelten kulturellen Einheit, die die klassische Literatur am Leben erhielt und noch viel mehr dazu beitrug. Eines seiner Merkmale war die Rückkehr von Frauen als Autoren. Sie hatten während der Römerzeit geschwiegen, aber jetzt erklangen wieder ihre Stimmen: Hildegard von Bingen, Marguerite Porete, Heloisa und viele andere. Das Mittelalter war nicht wirklich „finster“ – es war aber auf jeden Fall buchstäblich.

Im 9. Jahrhundert versuchte König Karl der Große Europa mit seinem Heiligen Römischen Reich nicht nur zu einer kulturellen, sondern auch zu einer politischen Einheit zu machen. Er war allerdings nur teilweise erfolgreich, jedoch mit Beginn des 2. Jahrtausends beherbergte Europa so viel Macht, dass es über seine Grenzen hinaus expandieren konnte: Es folgte die Ära der Kreuzzüge.

Zu dieser Zeit gab es keine mitteleuropäische Regierung, doch die Europäer handelten gemeinsam so als gäbe es eine. In den Kreuzzügen entstanden Einrichtungen, die moderne multinationale Unternehmen prägten: Die Tempelritter stellten z. B. gleichzeitig einen Mönchsorden, eine Militärtruppe und eine Bank dar.

Die Kreuzzüge waren nur partiell siegreich. Die europäische Wirtschaft erreichte ihren Höhepunkt zu Beginn des 14. Jahrhunderts und brach dann mit der Großen Pest Mitte des Jahrhunderts zusammen, als Europa bis zu 30 % seiner Bevölkerung verlor. Dann folgte die Zeit des großen Rebounds und dieses Mal starteten die Europäer das große Übersee-Abenteuer, welches sie in einigen Jahrhunderten dazu führen würde, den größten Teil der Welt zu beherrschen.

Doch in der Zwischenzeit war etwas schiefgegangen. Der im Mittelalter begonnene Prozess der europäischen Integration kam mit der „Renaissance“ zum Erliegen. Während des 17. Jahrhunderts kämpften die Europäer im 30-jährigen Krieg gegeneinander, der vielleicht den zerstörerischsten Konflikt darstellte, der jemals in der Geschichte der Menschheit bis zu diesem Moment stattgefunden hatte. Die Europäer führten sogar einen Krieg gegen Frauen: Die Renaissance war die Zeit der großen Hexenjagden, bei denen unzählige unschuldige Frauen auf dem Scheiterhaufen lebendig verbrannt wurden.

In den folgenden Jahrhunderten hat Europa nie einen Moment der Stille erlebt und sich in eine Konstellation von Nationalstaaten aufgelöst. Eingeschlossen in starre und undurchlässige Grenzen waren diese Kreaturen stolz, empfindlich und aggressiv. Mit dem 20. Jahrhundert begannen sie sich wie betrunkene Schießwütige zu benehmen, die in eine Kneipenschlägerei verwickelt waren. Das Ergebnis war die Katastrophe der beiden Weltkriege.

Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schienen die Europäer einen Teil ihrer geistigen Gesundheit wiederzugewinnen und fragten sich, was sie getan hatten. Gab es eine Möglichkeit, neue mörderische Kriege zu vermeiden? Das war der Ursprung der Idee der Europäischen Gemeinschaft, die später in Europäische Union umbenannt wurde. Eine Bewegung von Menschen, die aufrichtig davon überzeugt waren, dass Europa eine gute Sache darstellte, die neue Kriege verhindern würde. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass sich die in Europa lebenden Menschen als „europäische Bürger“ fühlten.

In mancher Hinsicht bedeutete die Europäische Union einen Erfolg, doch heute zeigen sich die Probleme, die bei ihrer Schaffung nicht gelöst wurden. Staaten können nur auf zwei Arten zusammengehalten werden: durch militärische Gewalt oder durch kulturelle Bindungen. Europa hatte in seiner Geschichte beides kennengelernt: Während des Römischen Reiches sorgten die mächtigen römischen Legionen für die politische Einheit.

Später verbanden die gemeinsamen Wurzeln der christlichen Kultur und Religion sie miteinander. Das Vereinigte Europa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellte in gewissen Grenzen das Ergebnis der Macht der amerikanischen Legionen dar. Doch Legionen sind recht teure Güter, und wenn die amerikanischen abziehen (und das werden sie), was wird die europäischen Staaten dann noch zusammenhalten?

Hier sehen wir, dass die Europäische Union auf schwachen Fundamenten gebaut wurde. Die europäischen Nationalstaaten hatten sich stets geweigert, auch nur einen Zentimeter ihres göttlichen Rechts abzutreten: die Verwendung ihrer Landessprache und nur dieser Sprache bei allen Gelegenheiten. Das Ergebnis ist, dass Babel in der Stadt Brüssel wiedergeboren wurde, wo jede Aussage, jedes Dokument, jede Rede in mehreren Versionen in verschiedenen Sprachen veröffentlicht werden muss.

Nationalsprachen sind viel wichtiger als farbige Flaggen, sie sind die Essenz des Konzepts der Nationalstaaten. Das Versagen der Gründer der Europäischen Union bestand darin, keine europäische Sprache voranzutreiben, die Europa vereint hätte. Vielleicht wäre es möglich gewesen, das Lateinische wiederzubeleben oder ganz einfach das Englische, die de facto internationale Sprache unserer Zeit zu übernehmen. Stattdessen dachten die Gründer offenbar, es sei einfacher das Gehalt einer Legion von Dolmetschern zu bezahlen, die sich in Brüssel wie Geier auf der Suche nach neuer Beute versammelten.

Das Ergebnis war eher ein Europa der Banken als ein Europa der Europäer. Es wurde nie geliebt, aber akzeptiert solange es in der Lage zu sein schien, die Wirtschaft am Laufen zu halten. Mit dem ökonomischen Abschwung änderten sich jedoch die Gefühle. Die meisten Menschen neigen dazu, auf der Grundlage der einfachsten und schematischsten Schlussfolgerungen zu argumentieren.

Wenn die Wirtschaft vor der Europäischen Union besser lief, dann folgt daraus, dass wir nur die hässlichen Bürokraten (und die Dolmetscher) in Brüssel loswerden müssen, damit die guten alten Zeiten zurückkehren und alles gut wird in der besten aller Welten. Ein Ergebnis dieser Einstellung war die Brexit-Katastrophe, und es ist ein kleines Wunder und auch ein gutes Beispiel für die Macht des europäischen Traums, dass die Separatisten bei den jüngsten Wahlen nur in einigen Randregionen der Union gewonnen haben. Insgesamt sehen sich die meisten Europäer doch immer noch als Europäer.

Aber wie lange kann die Europäische Union in ihrer jetzigen Form überleben? Wird sie zusammenbrechen und dann zurückkommen? Oder wird sie nur eine kleine Halbinsel der großen eurasischen Wohlstandszone? Vielleicht eine entlegene Haltestelle für die neue Seidenstraße? Und können die Europäer angesichts der durch Jahrtausende der Ausbeutung stark erschöpften Bodenschätze überhaupt in einer Zukunft überleben, in der sie vom Klimawandel und dem Zusammenbruch des Ökosystems bedroht sind?

Wir können es noch nicht sagen. Die einzige Gewissheit ist, dass gute Träume nie wirklich sterben – sie halten sich über die Zeit. Und der Traum von einem vereinten Europa ist nicht tot. Es wird eines Tages zurückkommen.

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des italienischen Chemie-Professors Ugo Bardi)