Die ökonomische Profession und der Turmbau zu Babel

In Lewis Carrolls „Alice hinter den Spiegeln“ erklärte Humpty Dumpty stolz: „Wenn ich ein Wort verwende, dann bedeutet es genau, was ich es bedeuten lasse, und nichts anderes.“ „Die Frage ist aber doch“, erwiderte Alice, „ob du den Worten einfach so viele verschiedene Bedeutungen geben kannst“.

Alice Humpty Dumpty
Alice und Humpty Dumpty in „Alice hinter den Spiegeln“

Humpty Dumpty hätte ein Ökonom sein können. Die moderne ökonomische Profession traf vor langer Zeit die gemeinsame Entscheidung, einen eigenen Jargon zu entwickeln, in dem Wörter mehrere, manchmal widersprüchliche Bedeutungen haben. Unglücklicher-weise neigt die Öffentlichkeit dazu, darauf ähnlich wie die arme Alice zu reagieren.

Ein paar Beispiele gefällig? Kein Problem, es existiert dazu absolut kein Mangel.

Lassen Sie uns beispielsweise das Wort „Investition“ nehmen. Die meisten Leute verbinden damit den Erwerb von finanziellen Vermögenswerten wie etwa Aktien oder Anleihen. Das ist im Grunde eine Form der Kreditvergabe – man gibt jemandem heute Geld und hofft, dass man morgen mehr Geld wieder zurückbekommt.

Ökonomen nennen das eine „finanzielle Investition“, doch die Art der Investition, die damit in der Regel gemeint ist, ist die Investition von Unternehmen, die damit Investitionsgüter erwerben. Da die Unternehmen Fremdkapital nutzen, um Waren zu kaufen (oder ihr eigenes Geld dazu verwenden, was aber im wesentlichen das gleiche ist), bedeutet diese Art der „Investition“ eigentlich eine Kreditaufnahme per Anleihe.

So verwenden Ökonomen das gleiche Wort und meinen damit sowohl Anleihen als auch Kredite! Das kann natürlich unmöglich zu irgendeiner Verwirrung führen, oder?

Zwei ähnliche Beispiele sind das „Kapital“ und „Equity“. „Equity“ kann sich einerseits auf Aktien beziehen, als Teileigentum an einem Unternehmen, oder es ist damit der „Marktwert“ gemeint, der ein Maß für den Wert eines Unternehmens darstellt.

„Kapital“ in der Ökonomie kann als das Finanzkapital gedeutet werden, das heißt schlicht das Geld auf der Bank. Häufiger bezieht es sich aber auf Investitionsgüter – produktive Sachen wie Gebäude oder Maschinen, die dabei helfen, mehr Waren herzustellen. Obwohl Ökonomen in der Regel diesen Begriff in der zweiten Art und Weise benutzen, beziehen sich viele Menschen außerhalb der Wissenschaft auf das Finanzkapital als „ökonomisches Kapital“.

Verwirrt? Wir haben doch gerade erst begonnen. Jeder weiß, dass Ökonomen Modelle lieben, in denen rationale Akteure in einem effizienten Markt interagieren, der dann ein Gleichgewicht erreicht, oder? Doch fast jedes Wort in diesem Satz ist eigentlich völliger Unsinn, dank der Humpty Dumpty-ähnlichen Tendenz der Ökonomen, Wörter neu zu definieren, ohne dies allerdings jemandem mitzuteilen.

So wie etwa „Gleichgewicht“? Dieses Wort wird eigentlich verwendet, um eine Situation zu bezeichnen, in der sich die Preise automatisch anpassen, damit Märkte geräumt werden und sich Angebot und Nachfrage ausgleichen können. Später kamen Spieltheoretiker mit dem „Nash-Gleichgewicht“ (benannt nach dem Mathematiker John Nash) dazu, welches sich auf eine Situation bezieht, in der jeder optimal auf alle anderen in einer strategischen Lage reagiert. Andere Konzepte verwendeten diesen Begriff stark inflationär, und so hat heute dieses Wort nahezu jegliche Bedeutung vollständig verloren. Wenn Ökonomen von „Gleichgewicht“ reden, meinen sie tatsächlich „jede Lösung zu jeder Gleichung, die ich meine aufschreiben zu müssen.“

Dann gibt es die „Rationalität“. Wenn einige Ökonomen von „rational“ sprechen, meinen sie damit, dass die Leute einfach ihrem Verlangen nachgehen. Andere verwenden dieses Wort um auf eine besondere Modellierungstechnik namens „rationaler Erwartungen“ zu verweisen, welches allerdings nichts anderes aussagt, als dass die Ansichten der Menschen über die Welt mit dem ökonomischen Modell an sich übereinstimmen. Wieder andere verweisen auf die „Bayessche Rationalität“, was nichts anderes bedeutet, als das man je nach Berücksichtigung vorliegender Beweise die Möglichkeit hat, seine Überzeugungen zu revidieren.

„Effizient“ kann zwei sehr verschiedene Dinge bedeuten. Es kann implizieren, dass in einer Gesellschaft keine Ressourcen verschwendet werden. Oder es können alle verfügbaren Informationen auf der Welt gemeint sein, die sich in den Marktpreisen widerspiegeln (letzteres wird in der Regel im Zusammenhang mit den Finanzmärkten verwendet, wie etwa in der Theorie effizienter Märkte).

Wie beim „Markt“, das ist einerseits eine Situation, in der Menschen Dinge erwerben und verkaufen, oder aber es bezieht sich auf eine Reihe von Regeln, die es Menschen erlauben, Sachen zu kaufen und zu verkaufen, auch wenn niemand dies wirklich tut.

Und der „Agent“ ist dann völlig sinnlos. Es ist damit kein Mensch gemeint, da Ökonomen große Schwierigkeiten dabei haben zu erklären, dass die „Agenten“ in ihren Modelle nicht unbedingt die einzelnen Menschen darstellen sollen, auch wenn diese Agenten als „Verbraucher“ oder „Arbeiter“ bezeichnet werden. Die Bedeutung ist dabei so vage gehalten, als ob es ein Wort wäre, mit dem Ökonomen Nichtökonomen, die sie mit Fragen wie: „Also, was genau soll Ihr Modell denn nun darstellen?“ belästigen stoppen können. Es symbolisiert natürlich Agenten! Dumme Nichtökonomen.

Somit ist das ökonomische Vokabular unverblümt gesagt ein einziges Desaster.

Als Ergebnis neigen akademische Ökonomen beizeiten dazu, direkt aneinander vorbeizureden. Beispielsweise können Wirtschaftswissenschaftler lange darüber streiten, ob die Menschen „rational“ sind, nur um dann festzustellen, dass sie zwei verschiedene Definitionen verwenden und eigentlich komplett übereinstimmen.

Doch eine viel schlimmere Folge ist die Kluft, die dieser schlampige Jargon zwischen Ökonomen und der Öffentlichkeit schafft. Alice mag noch höflich zu Humpty Dumpty gewesen sein, aber die Amerikaner neigen dazu, auf Ökonomen in einer Weise zu reagieren, die eher…extravagant und bunt ausfällt. Sie beschimpfen Ökonomen für ihre Vorstellung, dass die Märkte ein Gleichgewicht erreichen, nicht ahnend, dass für die Ökonomen alles ein „Gleichgewicht“ darstellen kann.

Liegt die Schuld für solche Missverständnisse bei der Öffentlichkeit? Wohl eher nicht, es ist eher das Versäumnis der Wirtschaftswissenschaftler, sich nicht richtig zu erklären. Die Ökonomie ist eine Sozialwissenschaft, und ihre Praktiker neigen dazu, in ihren kleinen Silos zu leben, stolz darauf die Außenwelt zu ignorieren. Aber jenseits dieser Silos werden immer wirkliche politische Entscheidungen getroffen, die das Leben von Millionen von Agenten…äh Menschen beeinflussen. Wenn der Jargon eine immer größere Trennung schafft zwischen dem, was Ökonomen wirklich annehmen und dem, was die Öffentlichkeit denkt, was sie glauben, wachsen die Chancen, dass die Disziplin einen Humpty-Dumpty-artigen Rückgang an Prestige und Einfluss erleidet.

(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des amerikanischen Ökonomen Noah Smith)