Krise war gestern? Von wegen! Wer die aktuellen Schlagzeilen der letzten Wochen zu den fast panischen Vorgängen in vielen Schwellenländern liest, bekommt wieder einmal vorgeführt, dass die Finanzkrise mitnichten schon vorbei ist:
Aktien: Anleger brauchen in Schwellenländern Nerven | ZEIT ONLINE
Kapitalabflüsse: Die Krise springt auf weitere Schwellenländer über – Devisen & Rohstoffe – FAZ
Aufwertung des Euro-Wechselkurses zum Südafrikanischen Rand
Wieder einmal schaut man verwundert auf das Verhalten vieler Anleger. Galten die sogenannten Emerging Markets nicht vor kurzem noch als die Wachstumsregion schlechthin?
Hatte nicht jeder Analyst diese Länder auf dem Schirm, wenn es darum ging, gewinnbringende Anlageformen zu „erschließen“?
Waren die Schwellenländer nicht die Verheißung für jeden Investor, der an der Niedrigzinspolitik der Industriestaaten förmlich verzweifelte?
Doch was ist daraus geworden?
Nun heißt es überall plötzlich bloß raus aus den Währungen der Entwicklungsländer: der argentinische Peso brach um fast 15 Prozent ein, der südafrikanische Rand, die türkische Lira, der brasilianische Real und andere Währungen folgten prompt und fast im Gleichschritt.
Milliarden wurden in den vergangenen Wochen aus den Entwicklungsländern abgezogen.
Die Aktienmärkte folgten ebenfalls dieser Entwicklung, der MSCI Emerging Markets Index hatte bereits im ersten Halbjahr 2013 mit einer wilden Achterbahnfahrt auf die Turbulenzen der auf den Devisenmärkten reagiert.
Die Zentralbanken der betroffenen Staaten mussten eingreifen und mit rigorosen Maßnahmen wie z. B. einer drastischen Erhöhung der Leitzinsen versuchen diese Entwicklungen einzudämmen.
Doch was waren die Gründe für diese plötzliche Kapitalflucht?
Nun heißt es, die Korruption und die Leistungsbilanzdefizite sowie die Auslandsschulden würden den Investoren Sorgen bereiten.
Doch diese Korruption und diese Defizite bzw. Schulden waren mehrheitlich auch schon vorhanden, als man sich zur Anlage in den Schwellenländern entschloss. Nur damals schenkte man diesen Tatsachen wenig Beachtung, ging es doch vor allem um die Chancen, die die Märkte der aufstrebenden Länder boten. Es muss daher andere Gründe für die Kapitalflucht geben, die oben genannten „hausgemachten“ Probleme können lediglich einen Anlass darstellen, zur tatsächlichen Erklärung der erzeugten Turbulenzen taugen sie nicht.
Aufwertung des Euro-Wechselkurses zur Indischen Rupie
In Wirklichkeit kann man die Zusammenhänge leicht erkennen, wenn man sich die Mechanismen der Devisenmärkte näher anschaut:
Während in den vergangenen Jahren die westlichen Industrieländer unter den Auswirkungen der Finanzkrise litten und wirtschaftlich eher stagnierten, waren es die Schwellenländer in Asien und Lateinamerika, die davon relativ ungeschoren blieben und deren Konjunktur sich wesentlich besser entwickelte.
Auf diesen fahrenden Zug sprangen die Spekulanten auf, um höchstmögliche Renditen zu erzielen. Zum Beispiel über die sogenannten Carry Trades. Dabei wird das niedrige Zinsniveau in den USA, Europa oder Japan genutzt, um dort billig Kredite aufzunehmen und diese in höherverzinsliche Anlagen der Schwellenländer zu investieren, vorzugsweise in ihre Währungen.
Die Zins-Differenz ist dabei der Gewinn der Spekulation, der umso höher ausfällt, wenn viele „Investoren“ mit großen Summen einsteigen und der Wechselkurs der Schwellenland-Währung daraufhin noch steigt.
Und hier kommt dann der Herdentrieb der Spekulation richtig zur Geltung. Werten die Währungen der Entwicklungsländer auf, bringt das immer mehr Investoren dazu, in diesen Markt einzusteigen und die Spirale noch weiter zu befeuern.
Irgendwann sind dann die Preise dieser Währungen soweit von ihren tatsächlichen Werten entfernt, dass eine entsprechende Gegenbewegung der Herde nur noch eine Frage der Zeit bzw. des richtigen Anlasses ist.
In dem jetzigen Fall der Schwellenländer war es die Ankündigung der amerikanischen Notenbank FED, ihre geldpolitische Lockerung zurückzufahren. Als Folge dieser Maßnahme erwartet man nun steigende Zinsen in den USA und damit einen Rückgang der lukrativen Zinsdifferenzen zu den Entwicklungsländern.
Diese Furcht reichte schon aus, um eine Gegenreaktion der Spekulantenhorde auszulösen. Aus der Angst vor dem Absturz wurde ein wirklicher Absturz.
Aufwertung des Euro-Wechselkurses zum Brasilianischen Real
Mit offenbar verheerenden Folgen: durch die plötzliche Kapitalflucht stürzten die Währungen förmlich ab und die Zentralbanken der betroffenen Staaten versuchten mit drastischen Zinserhöhungen die weitere Abwertung ihrer Währungen zu verhindern.
Die Auswirkungen dieser Maßnahmen werden höchstwahrscheinlich Kreditverteuerungen und schlechtere Wirtschaftsentwicklungen mit weiterer Kapitalflucht sein.
Doch die Medien schweigen sich über diese Form der Spekulation und die katastrophalen Folgen ihres Herdentriebs größtenteils aus. Aber warum?
Nun, es geht dabei vor allem um den Umgang mit einem schier übermächtigen wissenschaftlichen Dogma: Dem Glauben an einen globalisierten „Markt“ für Wechselkurse, der sich schon ganz von alleine regle. Wenn man diese Preise nur dem Markt überließe, werde der schon den „Gleichgewichtskurs“ finden.
Diese Ansicht geht zurück auf den Aufsatz „The Case for Flexible Exchange Rates“ von Milton Friedman, mit dem dieser 1962 ausgerechnet die von John Maynard Keynes in der Weltwirtschaftskrise festgestellte Inflexibilität von Preisen und Löhnen als Haupthindernis für die Herstellung eines Gleichgewichts in den internationalen Handelsbeziehungen bezeichnete. Friedman zufolge gäbe es daher nur ein Instrument, um einen störungsfreien internationalen Handel gewährleisten zu können: den flexiblen Wechselkurs.
Aufwertung des Euro-Wechselkurses zur Türkischen Lira
Schon damals war die mögliche Verzerrung der Wechselkurse durch Spekulation das wichtigste Gegenargument, mit dem Friedman konfrontriert wurde.
Doch er „widerlegte“ diese Entgegnung mit der Behauptung, Spekulanten könnten nicht systematisch Verluste machen, da sie ansonsten aus dem Markt gedrängt würden. Daher sei die Spekulation nur dann erfolgreich, wenn sie den durch die realen Wirtschaftsbedingungen am Markt gebildeten Kurs richtig vorwegnehme.
Da deshalb die Spekulationen höchstens den Trend abbilden würden, aber nie gegen die realwirtschaftlichen Entwicklungen arbeiten würden, hätten sie sogar eine stabilisierende Wirkung auf die Wechselkurse. Und deswegen sei auch nie mit einer starken Über- oder Unterbewertung einer Währung zu rechnen, die auf etwas anderem als auf den realwirtschaftlichen Beziehungen zweier Staaten beruhe.
Doch bereits der Rückblick auf die Ereignisse rund um den „schwarzen Donnerstag“ 1929 an der New Yorker Aktienbörse, welche die Weltwirtschaftskrise mit auslösten, zeigt, dass Devisen- und Wertpapiermärkte nicht wie „normale“ Märkte funktionieren.
In der realen Wirtschaft tätige Subjekte können sich zudem der Teilnahme an den Finanzmärkten nicht einfach entziehen, sie sind nun einmal auf die Devisenmärkte angewiesen und daher nicht in der Lage, sich gegen Wechselkursrisiken längerfristig ohne größere Kosten abzusichern. Durch Spekulation verzerrten Kursen können sie nicht beliebig lange ausweichen und sind daher gezwungen, Transaktionen zu Wechselkursen durchzuführen, die nicht dem Wert entsprechen, der ursprünglich Grundlage dieser Handlungen zu Beginn ihrer Geschäfte war.
In diesen Fällen bezahlen daher die in der eigentlichen Wirtschaft Tätigen die Zeche für die Spekulanten, weil sie bei flexiblen Wechselkursen eben nicht gegen solche ungünstigen Konstellationen abgesichert sind.
Außerdem sind auch Unternehmer, die sich gegen diese Wechselkursrisiken ausreichend abgesichert haben, trotzdem gefährdet, wenn ihnen der Markt im Ausland aufgrund einer durch eine spekulationsbedingte falsche Bewertung der Währung gesamtwirtschaftlichen Krise wegbricht.
Aufwertung des Euro-Wechselkurses zum Russischen Rubel
Die Finanzkrisen der 1990er Jahre in Mexiko, Asien, Russland, Brasilien und Argentinien waren allesamt auch Währungskrisen, bei denen sich Banken und Hedgefonds auf dem Rücken der Entwicklungsländer systematisch Geld verdienten.
Doch diese Erkenntnisse sind nicht mit dem Dogma der herrschenden Wirtschaftswissenschaften vom perfekten Markt vereinbar. Daher wird lieber jeder Versuch der Politik, durch Interventionen an den Märkten die Wechselkurse wieder auf auf ein vernünftiges Maß zu bringen, heftigst kritisiert, anstatt über eine Neuregelung von Spekulation und „Carry Trades“ nachzudenken, oder noch besser, eine neue globale Finanzarchitektur zu schaffen.
Wieder einmal sind daher die Schwellenländer die „Opfer“ der Freiheit der Märkte. Diese aber produzieren heute einen großen Teil der Weltwirtschaftsleistung, überwiegend finanziert über Leistungsbilanzdefizite.
Eine erneute Krise dieser Staaten würden deshalb auch die Hauptexportländer treffen, allen voran natürlich Deutschland. Nach dem Nachfrage-Ausfall der Euro-Krisenländer sind Asien und Lateinamerika neben den USA die Hauptkunden deutscher Unternehmen.
Was da ein Rückgang der Wirtschaftsleistung der Entwicklungsländer für den deutschen Export bedeuten könnte, muss wohl nicht wirklich näher erläutert werden.