Die große Schalker Rat- und Fassungslosigkeit?

Manchmal fehlen einem eigentlich die Worte: nur 0:0 vor eigenem Publikum gegen den Tabellen-15ten SC Freiburg, dabei noch Glück gehabt, nicht auszudenken, wenn der Breisgauer Julian Schuster den (berechtigten) Elfmeter nicht in die oberen Etagen der Nordkurve geballert hätte.

Roberto Di Matteo S04 2015

„Ich wollte nicht zu viel riskieren und am Ende das Spiel noch verlieren.“

Schalkes Trainer Roberto Di Matteo auf die Frage, warum er beim 0:0 gegen Freiburg gegen Spielende nicht offensiver gewechselt habe

Das dritte Spiel ohne eigenen Torerfolg hintereinander, seit vier Partien ohne Sieg, das Saisonziel Champions League verschwindet in einer Staubwolke am Horizont, Ratlosigkeit bei den Verantwortlichen, zunehmende Fassungslosigkeit und Wut bei den Fans.

Schalke 04 im April 2015 mal wieder am Abgrund?

Die einen wollen Trainer Di Matteo möglichst schnell wieder loswerden, andere sehen in Horst Heldt den Grund allen Übels, wieder andere schließen auch Clemens Tönnies in ihre Kritik mit ein und auf die Mannschaft (bzw. einzelne Spieler) schimpfen sie alle.

Und ehrlich gesagt, recht haben sie alle irgendwo, zumindest jeder ein wenig. Das ist wohl auch die Grundlage des derzeitigen Dilemmas, die Schuld an der Entwicklung kann man nicht mehr an einzelnen Personen festmachen.

Fangen wir mit dem Trainer an, obwohl er eigentlich außerhalb der Kritik stehen sollte. Nach knapp sechs Monaten im Amt hat er außer bei der Verpflichtung von Matija Nastasic im Winter noch nicht viele eigene Akzente besonders bei der Personalplanung setzen können. Sicherlich kann man ihm den einen oder anderen Fehler bei Aufstellung und Taktik vorwerfen, doch im Großen und Ganzen ist er einfach noch nicht lange genug hier, um seine Leistungen wirklich fair beurteilen zu können.

Immerhin hatte er mit dem zeitweiligen Umbau auf das 5-3-2 die defensive Stabilität wieder hergestellt, die Konteranfälligkeit beseitigt und so dafür gesorgt, dass wir insgesamt weniger Gegentore kassiert haben.

Unglücklich war dagegen sein Festhalten an dem jungen Timon Wellenreuther im Tor, der uns doch einige Punkte auf die Champions-League-Ränge gekostet hat. Allerdings weiß man nicht ob Routinier Christian Wetklo, der aber auch seit dem Sommer 2013 nur noch zwei Bundesligaspiele absolviert hatte, wirklich besser gewesen wäre.

Zudem irritierte mich am Samstag die Tatsache, dass Leroy Sane, der zuletzt immerhin in Madrid und Berlin zwei blitzsaubere Treffer erzielt hatte, nicht einmal als Alternative auf der Bank saß. Stattdessen mühten sich da Klaas-Jan Huntelaar und Eric-Maxim Choupo-Moting weiter erfolglos im Sturm und erweiterten so ihre persönlichen Torflauten in der Rückrunde.

Beiden wäre dringend eine Pause zu gönnen, doch bis auf Sidney Sam, der ja auch wegen seiner andauernden Verletzungsprobleme weit weg von seiner Bestform ist, gab es nicht einmal einen weiteren Stürmer auf der Bank. Währenddessen war es am Sonntag ausgerechnet Sane, der die U19 mit seinem Treffer zum Sieg über den 1.FC Köln in der A-Junioren-Bundesliga führte.

Insgesamt war die Mannschaft zudem für einen Gegner wie den SC Freiburg viel zu defensiv eingestellt. Mit sechs Verteidigern kann man gegen Topteams wie Bayern München oder auch Wolfsburg antreten, doch ansonsten stehen Spieler wie Dennis Aogo und Marco Höger auf der Sechs vor allem für mangelnde Kreativität nach vorn.

Auch ein Benedikt Höwedes mag ein guter Verteidiger sein, offensiv ist er auf der rechten Außenbahn allerdings so gut wie wirkungslos. Noch die wenigsten Vorwürfe kann man dabei Sead Kolasinac machen, der nach langer Verletzungspause seine Sache auf links insgesamt ganz ordentlich machte. Doch auch seine Aktionen im Vorwärtsgang waren letztlich zu zögerlich.

So offenbarte die Schalker Elf ein gewaltiges spielerisches „Loch“ zwischen Abwehr und Offensive. Es fehlte einfach ein moderner Sechser als Verbindungsspieler zwischen den beiden Mannschaftsteilen, der als Ballverteiler und kreative Aufbaustation für schnelle und überraschende Aktionen hätte sorgen müssen.

Doch das ist kein wirklich neues Problem auf Schalke, und man kann es auch nur bedingt Trainer Di Matteo anlasten, da er für diese Position zwar viele Spieler, aber offenbar nicht unbedingt den „Richtigen“ zur Verfügung stehen hat.

In der letzten Saison konnte noch Kevin-Prince Boateng diese Rolle ausfüllen, doch seine Nichtberücksichtigung gegen Freiburg trotz aller offensiven Probleme dürfte dieses Thema in Gelsenkirchen wohl endgültig erledigt haben. Offenbar ist der „Prinz“ momentan nicht willens oder in der Lage, sich für einen Einsatz von der Bank aus aufzudrängen, von einem Platz in der Stammformation gar nicht zu reden.

Es deutet stattdessen alles daraufhin, dass die Akte Boateng nach Saisonende als ein weiteres teures Missverständnis geschlossen wird. Sollte sich ein Verein finden, der den teuren „Nicht“-Leistungsträger verpflichten will, so wäre das wohl für alle die beste Lösung.

Allen, die nun Trainer Roberto Di Matteo für das Hauptproblem halten, sei der Fall Prince Boateng entgegengehalten. Er steht als Symptom für all die Verpflichtungen, an denen der Schweizer Coach nicht beteiligt war, und mit deren Auswirkungen er nun zu kämpfen hat.

Sicherlich hat Di Matteo Fehler gemacht, doch das hat sein Vorgänger Jens Keller auch, und trotzdem durfte er zwei Jahre auf Schalke bleiben. Und auch wenn das Trainergeschäft manchmal etwas brutal kurzatmig anmutet, wäre mit einem Abgang des Schweizers nicht unbedingt Besserung zu erwarten, da das Dauerthema Thomas Tuchel für Schalke wohl immer unwahrscheinlicher wird.

Vielleicht sollte man Di Matteo erst einmal die Chance geben, eine geregelte Saisonvorbereitung durchziehen und seinen Einfluss auf mögliche Spielerverpflichtungen im Sommer mit einbringen zu können. Denn nicht jede frühzeitige Trainerentlassung hat sich gerade bei uns im Nachhinein als hundertprozentig richtig herausgestellt.

Damit aber müssen wir uns denjenigen zuwenden, die für die Personalentscheidungen zuständig sind, sei es bei den Trainern als auch den Spielern. Und so rückt dann auch Sportvorstand Horst Heldt in den Fokus, er ist schließlich an erster Stelle für den Kader, so wie er sich zur Zeit präsentiert, verantwortlich.

Und natürlich auch Clemens Tönnies, den Aufsichtsratsvorsitzenden, der pikanterweise nun Anfang der Woche Heldt wohl den Auftrag gegeben hat, in dem von ihm selbst zusammengestellten Kader „endlich aufzuräumen“. Ein schöneres Zugeständnis der Unzufriedenheit mit dessen Arbeit kann man wohl kaum abgeben.

Erstes „Opfer“ und auch das Synonym für Heldts häufig missratene Personalpolitik war jetzt der Nigerianer Chinedu Obasi, vor drei Jahren eigentlich als Konkurrenz und möglicher Ersatz für Jefferson Farfan gekommen, der nun keinen neuen Vertrag mehr erhielt. Schon damals hatte es Kritik an Horst Heldt gegeben, weil er den zuerst von Hoffenheim nur ausgeliehenen Obasi trotz Verletzungsproblemen fest an den Verein band. In dreieinhalb Spielzeiten absolvierte der Nigerianer wettbewerbsübergreifend lediglich 51 Einsätze, davon nicht einmal 10 über 90 Minuten.

Weitere sechs andere Spieler sollen dem Vernehmen nach auf der Abschussliste stehen, allen vorn 10-Millionen-Einkauf Prince Boateng, sowie Christian Fuchs, Sidney Sam, Jan Kirchhoff, der ausgeliehene Felipe Santana und Ersatzkeeper Wetklo. Noch nicht entschieden ist angeblich das Schicksal von Roman Neustädter, während Tranquillo Barnetta aufgrund seiner Vielseitigkeit wohl doch noch gehalten wird.

Aber auch die Transfers von Christian Clemens (inzwischen an Mainz ausgeliehen), Stürmer Adam Szalai (ein teures Missverständnis und vor der Saison nach Hoffenheim gewechselt) und Dennis Aogo (nach gutem Beginn kommt der ehemalige Nationalspieler nach einer langwierigen Verletzung auch nicht mehr so richtig in Schwung) sind wie so einige andere Neuverpflichtungen nicht dazu geeignet gewesen, die Mannschaft leistungsmäßig voran zu bringen.

Und selbst der Königstransfer dieser Saison, Eric-Maxim Choupo-Moting, hat sich nach einer sehr beeindruckenden Hinrunde inzwischen in ein recht tiefes Leistungsloch hineingespielt. Von Sidney Sam wollen wir lieber erst gar nicht reden.

Nun scheint alles darauf hinauszulaufen, in Nationalspieler Sami Khedira einen neuen Heilsbringer zu sehen, der das spielerische Manko im defensiven Mittelfeld in der nächsten Spielzeit beheben soll. Bleibt allerdings noch abzuwarten, ob der zuletzt auch verletzungsanfällige gebürtige Stuttgarter überhaupt Lust auf die Europa League hat.

Doch wie ich bereits in der letzten Woche angemerkt hatte, ist es trotz Wut und Frust momentan nicht ratsam, in hektische Aktivität zu verfallen. Es bleibt schlicht nichts anderes übrig, als auf einen doch noch einigermaßen versöhnlichen Abschluss im internationalen Geschäft zu hoffen. Danach aber muss sich einiges auf Schalke ändern.

Bis dahin steht allerdings vor allem erst einmal die Mannschaft in der Pflicht.