Die Financial Times veröffentlichte am 12. Dezember einen Artikel mit dem Titel „The astonishing success of Eurozone bailouts“ (Der erstaunliche Erfolg der Rettungspakete für die Eurozone) – der die Bedeutung von englischen Wörtern wie „Erfolg“ im Grunde neu definiert.
Die griechische Flagge über einem Bergdorf
Anscheinend ist Griechenland jetzt eine erfolgreiche Wirtschaft, und dieser Erfolg ist auf die Rettungs-pakete der Troika im Jahr 2015 und die Verhängung harter Sparmaßnahmen zurückzuführen. Die Daten stützen diese Einschätzung aber leider nicht.
Ja, es gibt Wirtschaftswachstum, wenn auch von einer sehr niedrigen Basis aus. Aber andere Indika-toren offenbaren einen bedenklichen Zustand.
Die Bedeutung des Wortes Erfolg: Der FT-Artikel teilt dem Leser mit, dass…
„Anstatt im „Schuldgefängnis“ zu leiden, das zu den permanenten Sparmaßnahmen und der Armut verdammt ist, die der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis 2015 prognostiziert hatte, ist die Wirtschaft des Landes nicht nur viel schneller gewachsen als der Durchschnitt der Eurozone, sondern auch in der Lage, die von den Gläubigern im Rahmen seiner Rettungspläne geforderten Primär-haushaltsüberschüsse zu erzielen.
Erst letzten Monat hat die griechische Regierung einen Teil ihrer Schulden im Rahmen eines frühen Rettungsprogramms aus dem Jahr 2010 zurückgezahlt, weil ihr Investment-Grade-Status es ihr ermöglichte, sich an den Finanzmärkten billiger zu verschulden.“
Das BIP-Wachstum erfolgt allerdings von einer sehr niedrigen Basis aus, da die Wirtschaft immer noch um 15,9 Prozent kleiner ist als im Juni-Quartal 2007, vor der globalen Finanzkrise.
Der FT-Journalist schrieb daraufhin:
„Zwischen dem Vorabend der Covid-Krise im Jahr 2019 und 2024 zeigen IWF-Daten, dass das Pro-Kopf-BIP in Griechenland um mehr als 11 Prozent gewachsen sein wird…“
Es ist nicht schwer, das BIP pro Kopf zu steigern, wenn die Bevölkerung des Landes seit Beginn der Sparmaßnahmen stark geschrumpft ist.
Seit 2010 ist die griechische Bevölkerung um rund 5,2 Prozent zurückgegangen, und ein erheblicher Teil dieses Rückgangs ist auf jüngere, gebildete Griechen zurückzuführen, die in die Ferne abgezogen sind.
Ein Talentverlust, der die Nation noch jahrzehntelang verfolgen wird. Hätte sich das Bevölkerungs-wachstum in Griechenland vor der globalen Finanzkrise fortgesetzt, würde die derzeitige Bevölkerung eher bei 11,6 Millionen als bei 10,5 Millionen liegen.
Diese Tatsache wird von dem FT-Artikel und von allen Befürwortern der Eurozone ignoriert, wenn sie vom „erstaunlichen Erfolg“ der Rettungspakete sprechen.
Die aktuellen BIP-Zahlen würden erheblich besser aussehen, wenn nicht ein erheblicher Teil der Bevölkerung durch die Sparmaßnahmen aus dem Land vertrieben worden wäre.
Tatsächlich aber bleibt das Pro-Kopf-BIP trotz des jüngsten BIP-Wachstums unter dem Höchststand von 2010. Darüber hinaus ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch.
Hier ist die neueste Grafik der Arbeitslosenquote (bis Oktober 2024), wobei die gestrichelte Linie der gleitende Durchschnitt ist, da die Daten nicht saisonbereinigt sind. Im Oktober 2024 waren 9,2 Prozent der verfügbaren Arbeitskräfte arbeitslos.
Eine Nation, die nicht genügend Arbeitsplätze schaffen kann, um den Wünschen der Arbeitskräfte gerecht zu werden, kann kaum als „Erfolg“ bezeichnet werden. Der letzte von der griechischen Statistikbehörde veröffentlichte Bericht über die Armutsgefährdung (23. September 2021) bezieht sich auf den Zeitraum 2010 bis 2020, so dass wir keine aktuelleren Daten haben.
Zu diesem Zeitpunkt waren 28,9 Prozent der Bevölkerung „von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht“, was 3.044 Tausend Personen entspricht
Das Hellenic Anti-Poverty Network (EAPN-Griechenland) veröffentlichte einen Bericht – Poverty Watch 2022 Greece – in dem festgestellt wurde, dass:
„Es ist allgemein bekannt, dass im Jahrzehnt der Krise 2010-2020 etwa 25 % der Einkommen verloren gingen, aber am Ende des Jahrzehnts begann eine Erholung. Heute hat jedoch der umgekehrte Trend begonnen, und die Indikatoren für Armutsgefährdung steigen. Es wird geschätzt, dass der Verlust des Realeinkommens der griechischen Haushalte aufgrund der Energiekrise, die die Brennstoff- und Stromrechnungen in die Höhe getrieben hat, im Jahr 2022 um mehr als 10 % höher sein wird…
…Das von Armut und Ausgrenzung bedrohte Land belief sich im Jahr 2021 auf 29,5 % der Bevölkerung, was einem Anstieg um 0,6 Prozentpunkte gegenüber 28,9 % im Jahr 2020 entspricht (basierend auf den Indikatoren des Programms Europa 2020).
Statistisch gesehen ist auch ein Anstieg der Einkommensarmut (19,6 % der Bevölkerung im Jahr 2021 gegenüber 17,7 % im Jahr 2020) und der Zahl der Menschen, die in Haushalten mit geringer Erwerbs-intensität leben (13,6 % der Bevölkerung im Jahr 2021 gegenüber 11,8 % im Jahr 2020). Besonders besorgniserregend sind der Anstieg aller drei Armutsindikatoren, der Anstieg der Kinderarmut und die derzeitige Wirtschafts- und Energiekrise.“
Selbst in der aktuellen Phase des BIP-Wachstums leben schätzungsweise 26 Prozent der Bevölkerung an der Armutsgrenze, wobei 17,4 Prozent der Bevölkerung als verarmt gelten und 20 Prozent der Kinder in Armut leben (Stand: September 2023) (Quelle).
Primärüberschüsse zu erzielen, wenn 25 Prozent der Bevölkerung in Armut leben, scheint kein Ergebnis zu sein, mit dem man sich rühmen sollte. Kaum der Stoff, aus dem eine „erstaunliche Erfolgsgeschich-te“ besteht.
(Eigene Teilübersetzung eines Blogbeitrages des australischen Ökonomen Bill Mitchell)