Derbysieger – und alles ist wieder gut?

Das hatte ganz klar Gänsehautfeeling: knapp 25 Minuten sind in der Veltins-Arena beim Derby gegen den BVB erst gespielt, der FC Schalke 04 führt durch zwei schnelle Tore mit 2:0, das bei den „Lüdenscheidern“ so gern als „Turnhalle“ verspottete stimmungsvollste Stadion der Welt steht kurz vor der Eruption, der Boden bebt und wildfremde Menschen liegen sich in den Armen…

Das lässt alle Schalker Herzen schneller schlagen: frühzeitige 2:0-Führung gegen den BVB
Zwischenstand beim Derby Schalke 04 – Borussia Dortmund (eigenes Bild)

Ganz klar, ein besonders schwerer Fall von Derbyfieber hatte mich am Samstag Nachmittag befallen, ein schier überwältigendes Gefühl, dass sich mit der bereits oben erwähnten Gänsehaut eher nur unzureichend beschreiben lässt.

Was war passiert? Nun, ich gehörte zu den ca. 57.000 Glücklichen (die anwesenden BVB-Anhänger habe ich schon mal abgezogen), die eine Eintrittskarte für diesen immergrünen Ruhrpott-Schlager ergattern konnten. Und das eigentlich nur, weil der Sohn eines Bekannten ausgerechnet an diesem Tage verhindert war.

Vor dem Spiel waren die Meinungen dagegen eher verhalten, nach den Leistungen beider Teams und aufgrund der vielen Verletzungsausfälle wollte niemand einen konkreten Favoriten benennen. Die „Mutter aller Derbys“ schien offener denn je zu sein.

Und dann das: die Dortmunder begannen seltsam zurückhaltend, mit wenig Kombinationsspiel nach vorn, dafür umso mehr Problemen in der Abwehr. Nach einem „Warnschüßchen“ von „Publikumsliebling“ Kevin Großkreutz nickte Joel Matip gänzlich unbedrängt den Ball nach der ersten Schalker Ecke in den BVB-Kasten.

Und auch dem 2:0 der Schalker ging ein kapitaler Abwehrfehler des BVB voraus, als Stürmer Adrian Ramos nicht konsequent klärte und so Eric Maxim Choupo-Moting den erneuten Torschuss gestattete. Zwar nutzten die Dortmunder umgehend die Euphorie der Blau-Weißen mit einem schnellen Gegenstoß zum Anschlusstreffer, doch insgesamt reichte das Bemühen der Klopp-Truppe nicht aus, um das Spiel noch zu drehen.

Wenn man sich bemühte, eine neutrale Haltung anzunehmen (was zugegebenermaßen nicht einfach war), so musste man über das Spiel des BVB staunen. Pomadig, mit wenig Tempowechseln und bis zur Hereinnahme von Shinji Kagawa auch ohne Ideen, mühte sich eine sichtbar wenig eingespielte Mannschaft vergeblich gegen konsequent verteidigende Schalker ab.

Zugegeben, auch die Verletztenliste der Dortmunder liest sich wie eine Who is Who der Bundesliga. Ohne Marco Reus, Henrikh Mkhitaryan, İlkay Gündoğan, Nuri Şahin und Jakub Błaszczykowski war die Kreativzentrale des Revier-Rivalen förmlich lahmgelegt.

Schalke dagegen wirkte insgesamt viel konsequenter, trotz ebenfalls vieler Ausfälle (Draxler, Höwedes, Goretzka, Kirchhoff, Kolasinac, Santana und Farfan) zielstrebiger und hatte natürlich auch das Glück der beiden frühen Tore nach kapitalen Abwehrfehlern.

Sicherlich ist so ein Derbysieg ein ganz besonderer Tag und auch ein besonderer Grund zu feiern. Und selbstverständlich hat auch Trainer Jens Keller einen gewaltigen Anteil an diesem Erfolg. Er hat schlichtweg alles richtig gemacht, Aufstellung (mit Kevin-Prince Boateng auf der „6“ und Roman Neustädter in der Innenverteidigung) und Ausrichtung der Mannschaft passten einfach.

Ebenso war die Einstellung des Teams über jeden Zweifel erhaben, alle rannten und rackerten bis sie buchstäblich nicht mehr konnten. Die Auswechselungen von Boateng und Höger waren diesem Umstand geschuldet, beide waren offensichtlich einfach platt.

Die Mannschaft aber hielt durch, auch wenn sie sich in der Zweiten Halbzeit etwas zu sehr in die Defensive drängen ließ und die wenigen Konter kaum Entlastung bringen konnten. Am Ende stand dann ein aufgrund eigener Leistungsbereitschaft und Dortmunder Fehler alles in allem durchaus verdienter Derby-Sieg.

Erwartungsfrohe Schalker Fans in der Nordkurve vor dem Revierderby
Die Nordkurve vor dem Derby Schalke 04 – Borussia Dortmund (eigenes Bild)

So weit, so gut. Interessanter wird es dann aber vor allem in der Presse-Nachbetrachtung. Während der eigentliche Verlierer des Derbys, Jürgen Klopp, trotz unübersehbarer Fehler in Aufstellung und Taktik (musste Mats Hummels nach langer Pause sofort wieder spielen, während Sokratis trotz starker Leistungen auf der Bank Platz nahm? Warum saß Kagawa anfangs nur auf der Bank?) nahezu unanfechtbar erscheint, drehen sich viele Fragen der Medienvertreter an Jens Keller vor allem um seine Position im Verein.

Woran aber mag das liegen, dass Klopp auch eine solche Serie (nur ein Punkt aus den letzten drei Spielen) eher nichts anhaben kann, während bei Keller offensichtlich nur Extreme gut genug sind? (Was wäre wohl in der Presse los gewesen, wenn Schalke das Derby verloren hätte?)

Sicherlich hat das einerseits mit dem medialen Auftreten zu tun. Jürgen Klopp hat es darin in den letzten Jahren zu einer wahren Meisterschaft gebracht, während Jens Keller eher immer noch wie eine graue Maus wirkt. Und natürlich zählen auch die Erfolge: Zweimal Meister, zweimal Vizemeister und zudem noch Pokalsieger 2012, auch als Schalke-Fan muss man Klopp Respekt dafür zollen, was er da seit 2008 beim großen Konkurrenten aufgebaut hat.

Auch da kann Jens Keller kaum gegen an“stinken“, immerhin qualifizierten sich die Blauen unter seiner Ägide zweimal für die Champions League und legten in der letzten Saison die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte hin.

Mehr Rückschlüsse lässt da schon das 1:1 gegen NK Maribor in der Champions League zu. Wenig Bewegung in der Offensive, keine schnellen Ballstafetten, in der ersten Hälfte kein offensives Pressing, um den Gegner zu Fehlern zu zwingen. Alles Anforderungen, denen sich die Mannschaft auch gegen Dortmund nicht wirklich ausgesetzt sah.

Und doch war man erfolgreich, weil man kämpfte, rackerte, in der Defensive gut sortiert stand und, auch das muss man zugeben, früh von den Fehlern des BVB profitierte und mit einer 2:0-Führung im Rücken nicht mehr allzuviel nach vorn machen mußte.

Dagegen zeigte die Begegnung gegen Maribor (und vorher gegen Frankfurt, in Gladbach, Hannover und Dresden) eindeutig, was den Schalkern momentan und auch schon seit längerem fehlt:

Auch wenn mancher es nicht mehr hören mag, es geht ganz einfach um eine Spielidee, um ein System, um eine Art Plan, was zu tun ist, wenn der Ball erobert wird und auch, wenn er verloren geht. Und das ist genau das, was ein Jürgen Klopp Jens Keller voraus hat.

Der Dortmunder Trainer steht für ein gewisses Spielprinzip, ja er lebt es geradezu. Und war damit in den letzten Jahren auch sehr erfolgreich. Da fällt es leicht, eine zwingend notwendige Umbauphase nach dem Weggang von Robert Lewandowski durchzustehen, da ja der gemeine BVB-Fan genau weiß, dass „Kloppo“ alles dran setzen wird, neue Akteure wie Adrian Ramos und Ciro Immobile so schnell wie möglich in sein Ensemble einzubauen.

Da kann auch eine Derby-Niederlage zwar schmerzen, aber in der Erwartung, dass Jürgen Klopp es kurzfristig schaffen wird, trotz vieler Verletzter und einiger neuer Spieler seine Idee des schnellen Umschaltspiels wieder zu Perfektion zu bringen, kann man schon etwas ruhiger schlafen.

Und bei Schalke? Es ist eigentlich wie immer in den letzten beiden Jahren: obwohl man jetzt gegen die „Großen“ anscheinend bessere Ergebnisse erzielt, sind die alten Versäumnisse immer noch präsent.
Und sie sind nun mal mit einem bestimmten Namen verbunden: Jens Keller.

Dies ist auch die Erklärung dafür, warum es um ihn auf Schalke trotz zwischenzeitlicher Erfolge nicht ruhiger wird.