Wilhelm Lautenbach: Kapitalbildung und Sparen – Teil 7 (letzter Teil)

Fortsetzung von Teil 6:

Ebenso wird die These, die wir gegensätzlich zur traditionellen Theorie an den Anfang stellten, dass nämlich die volkswirtschaftliche Ersparnis durch die Investition, nicht aber die Investition durch die Ersparnis bestimmt wird, durch die Analyse des Kreditprozesses bestätigt.

Anteile von Faktorkosten, Abschreibungen und Unternehmergewinn an den abgesetzten Verbrauchsgütern
Zusammenhang zwischen Investition und Produktionsvolumen

An dem [obigen] Diagramm haben wir gesehen, welche entscheidende Bedeutung die Höhe der Investitionen für den Geschäftsgang und das Produktionsvolumen der Verbrauchsgüterindustrie hat. Man kann die Beziehungen in einer Formel plastisch zum Ausdruck bringen.

Die Verbrauchsquote, d. h. das Verhältnis von Verbrauchseinkommen zu den Gesamtkosten der Produktion ist variabel, bei gegebener technischer Ausstattung ist sie abhängig vom Beschäftigungsgrad. Je höher der Beschäftigungsgrad, um so kleiner ist die Verbrauchsquote. Dies hängt damit zusammen, dass je näher eine Wirtschaft der Vollbeschäftigung kommt, um so mehr auch solche Betriebsanlagen und Arbeitskräfte, die weniger leistungsfähig sind, zur Produktion herangezogen werden, so dass die Grenzkosten der Produktion steigen.

Demzufolge müssen auch die Preise entsprechend hoch sein und ebenso der Gesamtgewinn der Unternehmungen, weil sie unter günstigen Bedingungen, nämlich mit guter technischer Ausstattung und qualifizierten Arbeitskräften arbeitenden Betriebe bei diesem Preisstande erheblich mehr verdienen.

Dieser Mehrgewinn schlägt sich zum weit überwiegenden Teil als Vermögenszuwachs nieder und senkt dadurch die allgemeine Verbrauchsquote. Dies muss man sich ständig vor Augen halten, wenn man die nun zu entwickelnde Formel betrachtet.

Die in einer bestimmten Periode hergestellten Verbrauchsgüter werden nur dann zu Produktionskostenpreisen (Grenzkostenpreisen) abgesetzt, wenn die bei der Verbrauchsgüterherstellung aufgewendeten Kosten, einschließlich Solleinkommen der Unternehmer (V), sich zu den Herstellungskosten der Investition (J) verhalten wie die diesem Produktionsstande entsprechende Verbrauchsquote q (wobei q ein echter Bruch ist) zu ihrem Komplement, nämlich 1 – q. In der Formel geschrieben, wenn
ist.

Hieraus ergibt sich

oder
V + J = Gesamtproduktion =

Das bedeutet: die Wirtschaft ist im Gleichgewichtszustande, wenn die Gesamtproduktion gleich einem bestimmten Mehrfachen der Investition ist, wobei der Multiplikator durch die jeweilige Verbrauchsquote q in der Form bestimmt wird.

Man beachte dabei, dass q jeweils von dem Gesamtproduktionsstande, nicht aber von dem Verhältnis der Investition zu Verbrauch abhängig ist. Wenn daher die Kosten für die Gesamtproduktion einen bestimmten Betrag P ausmachten, so entspricht dem eine bestimmte Größe von q.

Verhalten sich aber bei diesem Gesamtproduktionsstande die Kosten der an die Verbraucher abgesetzten Güter zu den Kosten der Investition (Bruttoinvestition) nicht wie , so sind die erzielten Preise nicht gleich den Produktionskosten, und die Produktion ist in dem gedachten Umfang nicht aufrechtzuerhalten.

Sie wird schrumpfen, wenn die Investition relativ zu klein, sie wird ausgedehnt werden, wenn die Investition relativ größer ist, als es der Formel gemäß ist.

Hieraus geht hervor, wie ungeheuer wichtig wirtschaftspolitisch die richtige Steuerung der Investitionen ist. Es ist immer eine bestimmte Mindestgröße der Investitionen nötig, damit die Wirtschaft auf Vollgang kommen kann. Diese Mindesthöhe der Investition ist abhängig von der Verbrauchsquote.

Die Verbrauchsquote wird teilweise durch psychologische Faktoren, nämlich dem bewussten Sparwillen der Einkommensbezieher, zum anderen aber durch technische Bedingungen, nämlich die Steigung der Grenzkostenkurve bestimmt. Je flacher die Grenzkostenkurve verläuft, das bedeutet, je geringer der Unterschied in Leistung und Ergiebigkeit zwischen den besten Betrieben und den Grenzbetrieben, die noch mitarbeiten müssen, damit Vollbeschäftigung erzielt wird, ist, um so geringer ist die Gesamtsumme an Unternehmensgewinn, die zur Erhaltung der Vollbeschäftigung notwendig ist.

Je geringer aber der Unternehmensgewinn, um so höher ist automatisch die Verbrauchsquote, um so geringer ist wieder die Investition, die zur Vollbeschäftigung erforderlich ist. Diese letzte Feststellung eröffnet für die weitere Wirtschaftlichkeit auf lange Sicht hin gewisse tröstliche Perspektiven.

Wäre es nämlich nicht so, dass durch allmählichen Ausgleich der Leistungsunterschiede der Gesamtgewinn der Unternehmen und damit die erforderliche Gesamtinvestition nach und nach verhältnismäßig herabgedrückt werden könnte, so müsste man äußerst skeptisch sein.

Wir sind allzu sehr gewöhnt, die Entwicklung der letzten hundert Jahre als typisch anzusehen, sie ohne weiteres auch in die Zukunft zu projizieren. Nun können wir in der Vergangenheit beobachten, dass die Kapitalakkumulation ebenso wie die Produktion durchschnittlich um etwa 3 % jährlich gewachsen ist. Hierin drückt sich die außerordentlich starke Dynamik unseres Zeitalters aus.

Aber diese Entwicklung trägt durchaus einmalige Züge. Es ist gewiss, dass sie nicht in alle Zeit so fortgehen kann. Es genügt sich klarzumachen, dass bei dieser Akkumulationsrate schon in etwa 230 Jahren das investierte Kapital sich vertausendfachen würde, um die völlige Unmöglichkeit einer stetigen Weiterentwicklung im bisherigen Tempo zu erkennen.

Die Investitionsrate muss unabänderlich allmählich abnehmen. Die Möglichkeit, mit einer solchen allmählichen Abnahme der Investitionsrate fertig zu werden, besteht aber in dem Maße, wie es gelingt, Ergiebigkeit und Leistung der Betriebe nach und nach aneinander anzugleichen, d. h. Höchstleistung und Ergiebigkeit immer mehr zu verallgemeinern.

Auf der anderen Seite zeigt nichts mehr als das Beispiel der Vereinigten Staaten auch die Schwierigkeit dieser Aufgabe. Eine hochentwickelte Industriewirtschaft wird zumindest in gewissen Zeiten nicht ohne starken Einsatz der staatlichen Initiative und großer öffentlicher Investitionen auskommen.

Es wird allgemein mehr darauf ankommen, dass in nötigem Umfang investiert wird und weniger darauf, dass planmäßig gespart wird. Anderseits zeigt aber wiederum das Beispiel Deutschlands, dass das Sparen immer noch eine Tugend ist, nämlich dann gerade, wenn der Staat der Wirtschaft große Aufgaben stellt.

In einem Augenblick, wo durch die gewaltigen staatlichen Investitionen die Produktion bis an die Grenzen der Elastizität gedrängt wird, ist bewusstes Sparen wieder höchst bedeutsam, und der Sparer ist nicht nur ein guter Privatökonom, sondern zugleich ein treuer Helfer des Staates und erfüllt eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe.1

Anmerkung:
1 Vgl. Wolfgang Stützel (1952): „Er [Lautenbach], der 1931 mit solchem Eifer für Stärkung der Gesamtnachfrage durch öffentliche Aufträge eintrat, dass viele in ihm den eigentlichen Initiator derjenigen Konjunkturpolitik sahen, die dann von Schacht betrieben wurde und zum großen Aufschwung führte – beschäftigte sich 1937 vorwiegend mit den Gefahren der Überliquidität [… ]“.

Auszug aus einem Vortrag von Wilhelm Lautenbach vom 28. Oktober 1937, gehalten im „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes von 1821“ – aus altdeutscher Schrift übertragen durch C.G.BRANDSTETTER.