2013: Das Jahr der deutschen Radprofis?

Es begann mit einem Paukenschlag: Der Kölner Gerald Ciolek gewann am 17. März 2013 völlig überraschend den Frühjahrsklassiker Mailand-Sanremo. Ein chaotisches, von schlechtem Wetter gezeichnetes Rennen, und trotzdem war es der größte Sieg seiner bisherigen Karriere.

Gerald Ciolek beim World Ports Classic 2013

Es folgten Etappensiege von Marcel Kittel, Andre Greipel und Tony Martin bei der Tour de France, die deswegen schon zeitweilig als die „Tour der Deutschen“ bezeichnet wurde.
John Degenkolb sorgte dann mit Erfolgen bei den Vattenfall Cyclassics und bei Paris–Tours für einen goldenen Herbst.

Doch fehlte da nicht etwas? Zwar reihten die deutschen Radprofis 2013 tatsächlich Sieg an Sieg, doch es waren größtenteils „nur“ Tageserfolge.

Gerald Ciolek
Ciolek, der für das international zweitklassige südafrikanische MTN Qhubeka Team fährt, erhielt zwar in der Radsport-Szene sehr viel Aufmerksamkeit für seinen historischen Erfolg an der italienischen Riviera (vor ihm gelangen dies mit Rudi Altig und Erik Zabel nur zwei anderen Deutschen), doch über die gesamte Saison gesehen blieb er allerdings relativ blass.

Ein Etappensieg bei den Drei Tagen von Westflandern sowie jeweils ein Tageserfolg bei der Bayern-, Österreich-Rundfahrt und bei der Tour of Britain waren seine anderen vorzeigbaren Ergebnisse in diesem Jahr, für sein Team sicherlich wichtige Erfolge, für ihn persönlich aber möglicherweise etwas zu wenig, um in absehbarer Zeit noch einmal einen Vertrag bei einem UCI-ProTeam zu ergattern.

Marcel Kittel und Andre Greipel
Für wesentlich mehr Furore, vor allem bei der prestigereichsten Rundfahrt, der Tour durch Frankreich, sorgte mit Marcel Kittel ein weiterer Sprinter.

Er schaffte es sogar, beim Auftakt in Bastia auf Korsika in das Gelbe Trikot des Gesamtführenden zu schlüpfen. Mit vier Etappensiegen distanzierte er auch den Briten Mark Cavendish, der im Vorfeld als der Topfavorit für die Sprintankünfte galt.
Auf der 10. Etappe nach Saint Malo sorgte er zudem für ein weiteres Highlight aus deutscher Sicht, als ihm zusammen mit Andre Greipel der erste Doppelsieg einheimischer Radprofis bei der Tour seit den 70er Jahren gelang.

Marcel Kittel und Andre Greipel bei der Tour de France 2013

Obwohl Kittels Ausbeute von insgesamt 22 Saisonsiegen nun wirklich nicht schlecht war, so zeigte die Art dieser Erfolge doch klar an, was im deutschen Radsport das Problem ist:
Es waren wie bei Gerald Ciolek überwiegend Sprintentscheidungen, bei denen Marcel Kittel ganz oben auf das Podest fahren konnte.

Ähnlich verhielt es sich natürlich auch mit Andre Greipel. Der bullige Rostocker gewann neben der bereits erwähnten Tour-Etappe noch 16 andere Rennen, darunter drei Etappen der Tour Down Under, die Deutsche Straßenmeisterschaft und eine Ankunft bei der Eneco Tour.

Tony Martin
Gänzlich anders stellt sich da die Situation um den Cottbuser Tony Martin dar. Selbst sein momentaner Dauerrivale Fabian Cancellara müßte zur Zeit wohl zugeben, dass Martin der bessere Zeitfahrer ist.

14 Siege, darunter die Weltmeisterschaft im Einzelzeitfahren, mit seinem Team Omega Pharma-Quickstep das Mannschaftszeitfahren bei der WM, die deutsche Meisterschaft im Kampf gegen die Uhr sowie die entsprechenden EZF-Etappen bei Tirreno–Adriatico, der Baskenland-Rundfahrt, der Tour de Romandie und beim Critérium du Dauphiné sind Ausdruck einer Ausnahmestellung, wenn es um flache und möglichst lange Zeitfahren geht.

Tony Martin bei der Tour de France 2013

Zudem kann Tony Martin bei einigen kürzeren Rundfahrten, die keine anderen großartigen Schwierigkeiten aufzubieten haben, auch um den Gesamtsieg mitfahren, was ihm in diesem Jahr bei der Algarve-Rundfahrt gelingen konnte.

Damit sind dann aber schon die Einschränkungen aufgeführt, bei denen der Cottbuser zur Zeit passen muss. Wird es bergiger, sind seine Chancen auf Erfolge stark eingeschränkt. Bei Bergzeitfahren und hügeligen Etappen fährt Martin regelmäßig hinterher, die Gesamtwertungen schwerer Rundfahrten sind für ihn außer Reichweite. Er ist eben „nur“ ein sehr guter Zeitfahrer, allerdings momentan wohl der Beste seiner Zunft.

John Degenkolb
Etwas flexibler als die reinen Sprinter Ciolek, Kittel und Greipel zeigte sich John Degenkolb im Verlauf dieser Saison. Während er im letzten Jahr vor allem mit seinen fünf Etappenerfolgen bei der Vuelta a España von sich reden machte, waren es nun die Siege bei den Vattenfall Cyclassics und Paris-Tours, die aufhorchen ließen.

Degenkolb weckte damit Hoffnungen, daß er auch auf schwierigerem Terrain erfolgreich sein könnte und sich auch zu einem Klassikerfahrer weiterentwickeln würde. Mailand-Sanremo, die Flandern-Rundfahrt, Paris–Roubaix und bergigere Etappen der großen Rundfahrten könnten somit seine Ziele für die nächsten Jahre werden.

John Degenkolb während der Tour de France 2013

Deutsche Radsportler waren also sehr erfolgreich in diesem Jahr, allein die oben Genannten konnten nach der Datenbank der Radsport-Seiten sage und schreibe 65 Siege einfahren. Die Gesamtwertungen der großen Rundfahrten, den überwiegenden Teil der mehrtägigen kleineren Etappenrennen und die meisten traditionellen Klassiker aber gewannen andere.

In der Nationenwertung der UCI World Tour belegte Deutschland nur den 14. Rang, weit hinter Spanien, Italien, Kolumbien und vielen anderen.

Also: 2013 das Jahr der deutschen Radprofis? Nein, eher das Jahr der deutschen Spezialisten, der Sprinter und Zeitfahrer. Aber auf gar keinen Fall das Jahr der Rundfahrt-Experten, denn die hat der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) momentan gar nicht zu bieten. Schade eigentlich. Oder auch nicht. Das ist wohl die große Crux des deutschen Radsports zur Zeit.

Mit Andreas Klöden hat in diesem Jahr der Letzte der umstrittenen Jan-Ullrich-Generation sein Rad endgültig in die Ecke gestellt. Er steht symptomatisch für eine ganze Epoche des deutschen Radsports, die von grandiosen Erfolgen aber auch vom fast kollektiven Versinken im Doping-Sumpf gekennzeichnet ist.

Es scheint momentan nicht absehbar, wann sich die jetzige Generation von dem Schatten dieser Zeit, vor allem in medialer Hinsicht, überhaupt und endgültig wird befreien können. Und das zumindest ist schade für die aktuellen Rennfahrer. Denn sie leiden unter einem Phänomen, zu dem sie eigentlich nichts selbst beigetragen haben.