[Die klassische Zinstheorie] erklärt oder umschreibt [den Begriff Kapital] als vorgetane Arbeit; das Kapitalangebot soll durch die Ersparnisse bestimmt sein, die zuweilen noch als vorgetane Arbeit in Gestalt eines Vorrats von Subsistenzmitteln aufgefasst werden, auf deren unmittelbaren Konsum die Sparer verzichtet haben.
Euromünzen und -scheine
Jedenfalls ist nach dieser Auffassung immer ein bestimmter Fonds von Ersparnissen gegeben, und durch den Zins soll die Kapitalverwendung auf den Betrag dieses Sparfonds beschränkt werden. Der Logik des theoretischen Systems entspräche es, das Sparen selber als eine Funktion des Zinses aufzufassen.
Da er der Lohn oder die Prämie für das Sparen, den Verzicht auf Verbrauch in der Gegenwart zugunsten künftiger Versorgung sein soll, so wäre es systemgerecht, wenn dies Sparen, die Enthaltsamkeit oder das «Warten― selbst auf den Zins in der Weise reagierte, dass bei niedrigem Zins weniger, bei hohem Zins mehr gespart würde.
Die Beobachtung sowohl wie die Überlegungen widerlegen jedoch eine solche Annahme. Die Sparer reagieren nicht systemgerecht und der Theoretiker musste ihnen diesen Verstoß gegen die Logik und Ästhetik seines Systems wohl oder übel nachsehen und konnte es auch.
Denn auch mit einem vom Zins unabhängigen festgegebenen Sparfonds wäre der Grundforderung dieser Theorie, dass der Zins die Nachfrage nach Kapital auf den Betrag der Ersparnisse beschränke, noch Genüge getan.
Von den geplanten oder möglichen Investitionen kämen nur soviel zum Zuge, dass der Gesamtbetrag gleich dem Sparfonds wäre. Der Zins stiege jeweils so hoch, dass er der Grenzproduktivität der Kapitalinvestition bei der gegebenen verfügbaren Kapitalmenge gleich wäre; die Mehrnachfrage für Verwendungszwecke, bei denen das Kapital eine geringere Ergiebigkeit hätte, würde gekappt werden.
Diese Erklärung des Zinses ist jedoch eine Fiktion. Sie erklärt nicht, wie der Zins zustande kommt, wie er wirkt und was er leistet, sondern sie gibt an, was er leisten sollte oder müsste.
Sie beschreibt nicht die tatsächliche Wirkungsweise des Zinses und gibt auch keine Anweisung dafür, wie denn nun praktisch etwa der Zins von den Banken festgesetzt werden soll.
Nun bedürfte es einer solchen Regel freilich auch gar nicht, wenn die Prämisse dieser Theorie, der Sparfonds, oder das verfügbare Kapital in der gleichen Weise wie eine verfügbare Warenmenge oder ein Warenvorrat greif- und fassbar und genau bestimmt, vorhanden wäre. Das ist nun aber gewiss nicht der Fall.
Der Sparfonds, mit dem der Theoretiker rechnet, ist nur eine ideelle Größe, die in dem Augenblick unbekannt und auch unbestimmbar ist, in dem über die praktische Frage entschieden werden muss, ob und zu welchen Bedingungen Investitionen von den Banken finanziert werden dürfen.
Die Bankiers sprechen zwar von den Mitteln, die sie anlegen, aber diese Mittel sind ganz etwas anderes als die Ersparnisse im Sinne der Theorie, und auch die den Banken als Spareinlagen zufließenden Gelder lassen so wenig einen Schluss auf die Größe jenes ideellen Sparfonds zu, wie man aus dem Schatten auf die Größe eines Körpers schließen kann, ohne den Neigungswinkel der Sonnenstrahlen gegen die Projektionsebene zu kennen.
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Der Grundfehler in Vorschlägen und Leitsätzen nach der Art Webers liegt in der Idee des festgegebenen Sparfonds, der Vorstellung, es müsse erst gespart werden, damit investiert werden könne. In Wahrheit aber ist Ersparnis (Nettoersparnis) und Neuinvestition gesamtwirtschaftlich von Haus aus identisch.Investition ist der Produktionsbegriff, Ersparnis der Verteilungsbegriff, der sich auf das gleiche Phänomen bezieht, eben das, was wir Kapitalbildung nennen und worunter wir den realen Vermögenszuwachs, die reale Ersparnis, in Gestalt des bilanzmäßigen Zugangs an Anlagen und Vorräten verstehen.
Weil Investition und Ersparnis in der geschlossenen Wirtschaft dasselbe sind und nur zwei Ausdrücke für ein und dieselbe Sache, kann man dem Zins theoretisch nicht die Funktion zuweisen, dass er die Investition oder die Kapitalverwendung den Ersparnissen anpasse.
Freilich bestimmt oder begrenzt der Zins die Kapitalverwendung oder die Kreditierung, aber er kommt in ganz anderer Weise zustande, als die Theorie will.
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Lautenbach: Zins, Kredit und Produktion (1952), S. 54-58