Die Loanable Funds-Theorie ist in vielerlei Hinsicht nichts anderes als ein Ansatz, bei dem schlicht und einfach die vorherrschende Zinsrate in einer Gesellschaft als der Preis für Kredite der Banken oder für andere Darlehen gedacht ist und von Angebot und Nachfrage bestimmt wird – wie Bertil Ohlin es einmal ausführte – „genauso wie der Preis von Eiern und Erdbeeren auf einem Dorfmarkt.“
Der Markt für Kreditfonds gemäß neoliberaler Theorie
Das ist ein sehr schönes Märchen, doch das Problem dabei ist, dass Banken keine Tauschhändler sind, die bereits vorhandene ausleihbare Mittel von Einlegern auf Kreditnehmer übertragen. Warum nicht? Weil es in der realen Welt einfach keine bereitgestellten verleihbaren Fonds gibt. Banken schaffen neue Mittel – als Kredit – nur, wenn sich jemand vorher verschuldet hat! Denn Banken sind Geldinstitute, keine Tauschhändler.
In der traditionellen Kreditfondstheorie – wie sie in den Mainstream-Makroökonomie-Lehrbüchern dargestellt wird – ist der Umfang der für die Finanzierung von Investitionen verfügbaren Kredite und Darlehen davon abhängig, wie viel Ersparnis verfügbar ist. Sparen ist die Bereitstellung von Kreditmitteln, Investitionen bedeutet die Nachfrage nach Kreditmitteln und es wird davon ausgegangen, dass sie sich negativ auf den Zinssatz auswirken. Die Senkung des Konsums von Haushalten bedeutet eine Erhöhung der Einsparungen durch einen geringeren Zinssatz.
Diese Sichtweise hat aber gezeigt, dass sie recht wenig mit der Realität zu tun hat. Es handelt sich dabei um nichts anderes als eine abwegige neoklassische Fantasie. Doch es existieren auch noch viele andere Probleme mit der Standarddarstellung und Formalisierung der Kreditfondstheorie:
• Wie bereits von James Meade schon vor Jahrzehnten bemerkt, verwendet diese Kausalgeschichte zur Erklärung der dazugehörenden Buchhaltungsidentitäten das Bild „Ein Hund namens Sparen wackelte mit dem Schwanz namens Investition“. Aus Keynes Sicht – und später immer wieder bestätigt durch empirische Forschung – ist es nicht so sehr der Zinssatz, zu dem die Unternehmen Kredite aufnehmen können, welcher maßgeblich die Höhe der getätigten Investitionen bestimmt, sondern vielmehr ihre internen Mittel, die Gewinnerwartungen und die Kapazitätsauslastung.
• Wie bei den meisten gängigen makroökonomischen Formalisierungen und Modellen üblich, werden Phänomene der realen Welt, wie z. B. reales Geld, Krediteinschränkungen und die Existenz multipler Zinssätze in der Loanable Funds-Theorie wenig berücksichtigt. Die Loanable Funds-Theorie reduziert die modernen monetären Ökonomien im Wesentlichen auf Tauschhandelssysteme – etwas, was sie definitiv nicht sind.
Wie Minsky besonders betont hat, ist es viel wichtiger sich auf das Funktionieren der Finanzmärkte zu konzentrieren als auf Buchhaltungsidentitäten wie S = Y – C – G zu schauen, um zu verstehen und zu erklären, wie viel Investition / Kredit in einer Volkswirtschaft getätigt wird. Die Probleme, die wir heute auf modernen Märkten haben, haben mehr mit unzureichenden Finanzinstitutionen zu tun als mit der Größe der Kreditmittel.
• Die Loanable-Funds-Theorie im „New Keynesian“-Ansatz bedeutet, dass der Zinssatz endogenisiert wird, indem angenommen wird, dass die Zentralbanken ihn als Reaktion auf eine eventuelle Produktionslücke anpassen (versuchen ihn anzupassen). Dies ist jedoch im Wesentlichen nichts anderes als eine Annahme, dass das Walras-Gesetz gültig und anwendbar ist, und dass erst recht die Erreichung des Gleichgewichts durch die Zinsanpassungen der Zentralbanken sichergestellt wird.
Aus Sicht eines realistischen Keynes-Minsky-Ansatzes kann dies nicht als etwas anderes betrachtet werden als ein Glaube, der auf nichts als bloßer Hoffnung beruht. [Ganz zu schweigen davon, dass immer mehr Zentralbanken tatsächlich keine Taylor-artigen politischen Regeln befolgen.] Der uralte Glaube, dass die Zentralbanken die Geldmenge kontrollieren, wird immer mehr in Frage gestellt und durch ein „endogenes“ Geld ersetzt. Das Gleiche wird wohl auch mit der Ansicht passieren, dass die Zentralbanken „den“ Zinssatz bestimmen.
• Ein weiteres Problem in der traditionellen Kreditfondstheorie ist die Annahme, dass Sparen und Investieren als unabhängige Einheiten behandelt werden können. Das ist natürlich falsch:
Die klassische Theorie des Zinssatzes [Loanable Funds Theory] scheint davon auszugehen, dass, wenn die Nachfragekurve für Kapital sich verschiebt oder wenn sich die Zinskurve für gesparte Beträge aus einem gegebenen Einkommen verändert oder wenn beide Kurven sich verändern, sich der neue Zinssatz durch den Schnittpunkt der neuen Positionen der beiden Kurven ergibt. Doch das ist eine Nonsense-Theorie. Die Annahme, dass das Einkommen konstant bleibt, widerspricht der Unterstellung, dass sich diese beiden Kurven unabhängig voneinander verschieben können.
Wenn sich eine von beiden verschiebt, dann wird sich auch das Einkommen im Allgemeinen ändern; mit dem Ergebnis, dass der gesamte Schematismus, der auf der Annahme eines gegebenen Einkommens basiert, zusammenbricht … In Wahrheit hat die klassische Theorie die Relevanz von Veränderungen in der Höhe des Einkommens oder der Möglichkeit, dass die Einkommenshöhe tatsächlich eine Funktion des Zinssatzes der Investition darstellt nicht überlebt.
Es gibt immer (mindestens) zwei Teile einer wirtschaftlichen Transaktion. Sparer und Anleger haben unterschiedliche Liquiditätspräferenzen und stehen vor unterschiedlichen Entscheidungen – und ihre Interaktionen finden in der Regel nur zwischen den Finanzinstituten statt. Dies bedeutet auch, dass es in modernen monetären Ökonomien keinen „direkten und unmittelbaren“ automatischen Zinsmechanismus gibt.
Was letztlich dazu führt, dass was auf der mikroökonomischen Ebene geschieht – sowohl innerhalb als auch außerhalb eines Gleichgewichts – nicht immer mit dem makroökonomischen Ergebnis vereinbar ist. Der Fehlschluss der Komposition (der „atomistische Fehlschluss“ von Keynes) hat viele Gesichter – ausleihbare Kreditfonds sind eins davon.
• Im Gegensatz zur Loanable-Funds-Theorie geht das Geld in der Welt von Keynes und Minsky den Investitionen und Ersparnissen voraus. Diesen Irrtum hervorhebend, schrieb Keynes in „Der Prozess der Kapitalbildung“ (1939):
Steigende Investitionen werden immer von höheren Ersparnissen begleitet, diese aber niemals vorausgehen. Geld ausgeben und Kredit-Expansion sind keine Alternative zu erhöhtem Sparen, sondern eine notwendige Voraussetzung dafür. Sie sind die Urheber und nicht die Zwillinge der erhöhten Ersparnis.
Was in der Kreditfondstheorie „vergessen“ wird ist die Erkenntnis, dass das Finanzwesen – in all seinen verschiedenen Formen – seine eigene Dimension hat, und wenn es ernst genommen wird, muss seine Wirkung auf eine Analyse das gesamte theoretische System modifizieren und nicht nur als ein unsystematischer Anhang hinzugefügt werden. Die Finanzen sind grundlegend für unser Verständnis der modernen Wirtschaft und so zu handeln wie der Bäckerlehrling, der nachdem er vergessen hat Hefe in den Teig zu geben, sie anschließend in den Ofen wirft, ist einfach nicht genug.
Alle realen wirtschaftlichen Aktivitäten hängen heutzutage von einer funktionierenden Finanzmaschinerie ab. Doch institutionelle Arrangements, das Vertrauen der Finanzmärkte, fundamentale Unsicherheiten, asymmetrische Erwartungen, das Bankensystem, Finanzintermediation, Kreditgewährungsprozesse, Ausfallrisiken, Liquiditäts-einschränkungen, die Gesamtverschuldung, Schwankungen des Cashflows usw. – Dinge, die eine entscheidende Rolle spielen beim Kanalisieren von Geld/Ersparnissen/Krediten – werden in modernen Formalisierungen der Loanable Funds Theorie mehr oder weniger im Dunkeln gelassen.
Es sollte betont werden, dass die Gleichheit zwischen Ersparnissen und Investitionen … unter allen Umständen gelten wird. Insbesondere wird sie unabhängig von der Höhe des Zinssatzes sein, der in der Wirtschaftstheorie üblicherweise als der Faktor angesehen wurde, der die Nachfrage nach und die Bereitstellung von neuem Kapital auspendelt.
Im vorliegenden Konzept sorgt die einmal getätigte Investition automatisch für die zur Finanzierung notwendigen Ersparnisse. In unserem vereinfachten Modell sind die Gewinne in einem bestimmten Zeitraum das direkte Ergebnis des Konsums und der Investitionen der Unternehmer in dieser Periode. Wenn die Investition um einen bestimmten Betrag steigt, erhöhen sich die Ersparnisse aufgrund der Gewinne entsprechend…
Eine wichtige Konsequenz des Obigen bedeutet, dass der Zinssatz nicht durch die Nachfrage und das Angebot von neuem Kapital bestimmt werden kann, weil die Investition sich selbst finanziert.
Also, ja, die „säkulare Stagnation“ wird vorbei sein, sobald wir uns von der Loanable Funds-Theorie lösen – und von dem scholastischen Geschwätz über die Zero lower bound – und anfangen, die gute alte keynesianische Finanzpolitik wieder zu verwenden.
(eigene Übersetzung eines Blogbeitrages des schwedischen Ökonomen Lars Syll)