Mehr über die Geschichte des ökonomischen Denkens: John Stuart Mill contra Say’s Law (1844)

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Statue von John Stuart Mill in Temple Gardens, London

Um die Erklärungen zu liefern, mit denen die Lehre von der Unmöglichkeit eines Überschusses aller Waren aufgegriffen werden muss, müssen wir einen Moment auf das Argument hinweisen, mit dem diese Unmöglichkeit gemeinhin aufrechterhalten wird.

Es kann nie einen Mangel an Käufern für alle Waren geben; denn wer eine Ware zum Verkauf anbietet, wünscht sich eine Ware im Tausch dafür und ist daher allein dadurch Käufer, dass er Verkäufer ist.

Die Verkäufer und die Käufer müssen, für alle Waren zusammenge-nommen, nach der metaphysischen Notwendigkeit des Falls ein genaues Gleichgewicht zueinander haben; und wenn es für eine Sache mehr Verkäufer als Käufer gibt, muss es für eine andere Sache mehr Käufer als Verkäufer geben.

Dieses Argument beruht offensichtlich auf der Annahme eines Tausch-handelszustands; und in dieser Annahme ist es absolut unanfechtbar. Wenn zwei Personen Tauschgeschäfte tätigen ist jede Person gleichzeitig Verkäufer und Käufer. Man kann nicht verkaufen ohne zu kaufen. Sofern jemand sich nicht dazu entschließt die Ware einer anderen Person zu kaufen, verkauft er auch seine eigene Ware nicht.

Wenn wir jedoch annehmen, dass Geld verwendet wird sind diese Aussagen nicht mehr richtig. Es muss zugegeben werden, dass niemand sich um seiner selbst willen Geld wünscht (es sei denn, einige sehr seltene Fälle von Geiz bilden dabei eine Ausnahme) und dass derjenige, der seine Ware verkauft und dafür Geld erhält, dies in der Absicht tut damit eine andere Ware zu kaufen.

Der Austausch mittels Geld ist daher, wie oft beobachtet letztendlich nichts als Tauschhandel. Aber es gibt diesen Unterschied: Beim Tauschhandel werden Verkauf und Kauf gleichzeitig in einem Vorgang durchgeführt. Sie verkaufen, was Sie haben und kaufen, was Sie wollen durch eine unteilbare Handlung und Sie können das eine nicht tun, ohne das andere zu tun.

Nun bewirkt die Verwendung von Geld und sogar der Nutzen davon, dass dieser eine Akt des Austauschs in zwei separate Akte oder Operationen unterteilt werden kann; eine davon kann jetzt und die andere in einem Jahr durchgeführt werden oder wann immer es am bequemsten sein soll.

Obwohl derjenige, der verkauft wirklich nur verkauft, um zu kaufen, braucht er nicht im selben Moment zu kaufen, in dem er verkauft; und er erhöht daher nicht notwendigerweise die unmittelbare Nachfrage nach einer Ware, wenn er das Angebot einer anderen ergänzt.

Da Kauf und Verkauf jetzt getrennt sind, kann es durchaus vorkommen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eine sehr allgemeine Neigung zum Verkauf mit möglichst geringer Verzögerung besteht, begleitet von einer ebenso allgemeinen Neigung alle Käufe so lange wie möglich aufzuschieben.

Dies ist eigentlich immer der Fall in solchen Zeiträumen, die als Perioden des allgemeinen Überschusses bezeichnet werden. Und niemand wird nach ausreichender Erklärung die Möglichkeit eines allgemeinen Übermaßes in diesem Sinne des Wortes bestreiten.

Der Zustand der Dinge, den wir gerade beschrieben haben und der nicht ungewöhnlich ist, läuft darauf hinaus. Denn wenn es eine allgemeine Verkaufsangst und eine allgemeine Kaufabneigung gibt, bleiben Waren aller Art lange Zeit unverkauft und diejenigen, die einen unmittelbaren Markt finden, tun dies zu einem sehr niedrigen Preis.

Wenn gesagt wird, dass wenn alle Waren im Preis fallen dies keine Konsequenz hat, da der reine Geldpreis nicht wesentlich erscheint, während der relative Wert aller Waren gleich bleibt, so antworten wir, dass dies nur wahr wäre wenn die niedrigen Preise ewig andauern würden.

Aber da es sicher ist, dass die Preise früher oder später wieder steigen werden, leidet derjenige, der verpflichtet ist seine Ware zu einem niedrigen Geldpreis zu verkaufen, wirklich darunter, dass das Geld welches er erhält in Kürze auf seinen normalen Wert sinkt.

Jeder verzögert daher den Verkauf wenn er kann, wodurch sein Kapital in der Zwischenzeit unproduktiv bleibt und der daraus resultierende Zinsverlust aufrechterhalten wird. Es gibt Stagnation bei denen, die nicht zum Verkauf verpflichtet sind und Not bei denen, die es sind.

Es ist wahr, dass dieser Zustand nur vorübergehend sein kann und sogar von einer Reaktion entsprechender Heftigkeit begleitet werden muss, da diejenigen, die verkauft haben ohne zu kaufen nun mit Sicherheit endlich kaufen werden und es dann mehr Käufer als Verkäufer geben wird. Obwohl das allgemeine Überangebot nur vorübergehend sein muss, ist dies nicht mehr als von jedem teilweisen Überangebot gesagt werden kann.

Ein überfüllter Markt ist immer vorübergehend und wird in der Regel von einer überdurchschnittlich lebhaften Nachfrage begleitet. Um das Argument für die Unmöglichkeit eines Überschusses aller Waren auf den Fall anzuwenden, in dem ein zirkulierendes Medium eingesetzt wird, muss Geld selbst als Ware betrachtet werden. Es muss zweifellos zugegeben werden, dass es nicht einen Überschuss aller anderen Waren und gleichzeitig einen Überschuss an Geld geben kann.

Aber diejenigen, die zu Zeiten wie wir sie beschrieben haben behaupteten, dass es einen Überschuss an allen Waren gab, gaben niemals vor, dass Geld eine dieser Waren sei; sie vertraten die Auffassung, dass kein Überschuss sondern ein Mangel des Umlaufmediums vorliege. Was sie eine allgemeine Überfülle nannten, war keine Überfülle von Waren im Verhältnis zu Waren, sondern eine Überfülle aller Waren im Verhältnis zu Geld.

Was bedeutete, dass Personen im Allgemeinen zu dieser bestimmten Zeit aus der allgemeinen Erwartung heraus, plötzlich geforderte Forderungen zu erfüllen lieber Geld besaßen als jede andere Ware. Geld war folglich gefragt, und alle anderen Waren standen in vergleichsweise schlechtem Ruf. In extremen Fällen wird Geld in Massen gesammelt und gehortet; in den milderen Fällen verschieben die Menschen lediglich die Trennung von ihrem Geld oder gehen erst neue Verpflichtungen ein, um sich davon zu trennen.

Doch das Ergebnis ist, dass alle Waren im Preis fallen oder unverkäuflich werden. Wenn dies mit einer einzelnen Ware geschieht, gibt es angeblich eine Überfülle dieser Ware; und wenn das ein richtiger Ausdruck ist, scheint es in der Natur des Falls keine besondere Unrichtigkeit zu geben, zu sagen, dass es eine Überfülle aller oder der meisten Waren gibt, wenn alle oder die meisten von ihnen in derselben Lage sind.

John Stuart Mill (1844)

(Eigene Übersetzung eines Blogbeitrags des amerikanischen Ökonomen Bradford DeLong)